Mirjam Sommer und Harald Pfeiffer lassen im „Interview“ nach Theo van Gogh im TiL die Fetzen fliegen - Gießener Anzeiger

09.09.2013

Schon zum Spielzeitbeginn fliegen auf der TiL-Studiobühne die Fetzen: Mirjam Sommer und Harald Pfeiffer verkörpern in dem Zweipersonenstück „Das Interview“ zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und mit ihren Ansichten hart aufeinanderprallen. Sie liefern sich ein hitziges, unerbittlich geführtes Wortgefecht, ein heftiges Duell, bei dem der Zuschauer nie so genau weiß, ob er die Wahrheit hört oder ob ihm gerade Lügen aufgetischt werden. In der geschickt ausbalancierten Inszenierung von Alice Asper, in der die Attacken und Psychotricks ihre Wirkung tun, wird die Bühne zur Arena der Eitelkeiten.

Bei der Premiere am Donnerstagabend dankte das Publikum vor allem den beiden Darstellern, denen diese „Tour de Force“ alles abverlangt, mit herzlichem Beifall. „Das Interview“ von Theodor Holman nach dem gleichnamigen Film von Theo van Gogh (1957 bis 2004) ist ein Lehrstück über unsere Medienbranche. Man erhält darin Einblick in eine vollkommen inszenierte Welt, in der alles nur Spiel und Fassade ist. Ob die gezeigten Gefühle echt oder gespielt sind, kann keiner mehr sagen.

Der niederländische Filmregisseur und Publizist Theo van Gogh provozierte die Gesellschaft gerne mit seiner Kritik an den Religionen, beschimpfte und beleidigte Muslime, Christen und Juden. Anfang November 1984 wurde er in Amsterdam auf offener Straße von einem islamistischen Fundamentalisten erschossen.

Große Sitzkissen am Boden gruppieren sich um einen runden Designertisch in der Mitte, der auch als kleine Bühne für spontane Selbstdarstellungen der Wohnungsinhaberin genutzt wird (Bühne und Kostüme: Bernhard Niechotz). Dies ist das Appartement der Schauspielerin und erfolgreichen Soap-Darstellerin Katja. Hier soll sie interviewt werden – ausgerechnet von Pierre, dem Politikredakteur und früheren Kriegsberichterstatter. Er wurde von seiner Redaktion dazu verdonnert, den Kollegen des Kulturressorts zu vertreten. An Harald Pfeiffers Gesichtsausdruck lässt sich schon am Anfang ablesen, wie es in diesem Pierre kocht. Er hat keine Lust, „zwei Titten zu interviewen, die keinen geraden Satz herausbringen“. Katja hat ihrerseits mit einer „arroganten Schwuchtel“ von der Kulturredaktion gerechnet. Der Kampf beginnt.

Viele Rollen

Dabei entpuppt sich das Filmsternchen keineswegs als das blonde Dummchen, das der Journalist erwartet hat. Mirjam Sommer zeigt ein energisches Persönchen, das nicht auf den Mund gefallen ist und, wenn nötig, die Krallen ausfährt. Sie heult, singt und spielt ihrem Interviewpartner – und damit auch dem Publikum – eine Rolle nach der anderen vor. Aber ist sie jemals sie selbst? Aber auch Harald Pfeiffer lässt hinter der Fassade des verbissenen Wahrheitssuchers einen Mann erkennen, der ein doppeltes Spiel spielt. Nichts stimmt. Oder wie es in Shakespeares „Macbeth“ so treffend heißt: „Fair is foul, and foul is fair.“

Katja über Katja

Ein schöner Regieeinfall ist es, wenn Katja die Wände ihres Appartements zur großen Kinoleinwand macht und dort Bilder und Videos (Sarah Loosen) ihres glamourösen Lebens abspielt: Katja auf den Titelseiten der Hochglanzmagazine, Katja auf Filmplakaten, Katja mit Günther Jauch und Thomas Gottschalk auf der Couch bei „Wetten dass“, Katja in ihrer Doku-Soap.

Die Gießener Inszenierung macht deutlich, dass „Das Interview“ das Zeug zu einem munteren Theaterabend hat, der aber keine Minute länger dauern darf, denn nach 75 Minuten ist das Pulver restlos verschossen.

Gießener Anzeiger, Thomas Schmitz-Albohn, 07.09.2013