Sinfoniekonzert macht dem Frühling seine Aufwartung - Gießener Allgemeine Zeitung

10.04.2014

Mit den Augen des Frühlings – so lautete die musikalische Intention des Sinfoniekonzerts im Stadttheater. Erster Kapellmeister Florian Ziemen, das Philharmonische Orchester Gießen und vier Solisten boten vor ausverkauftem Haus blühenden Kunstgenuss.

Die Anfangsfanfare und das Hauptthema des Allegro haben es in sich. Und aus dem dritten Satz, der sich attacca, also ohne Pause, als Scherzo ans Larghetto reiht, grüßt Ludwig van Beethoven immer dann, wenn es energisch wird. Im Finale, der Krönung dieses feinen Werkes, lebt in den ernsten Momenten ebenfalls der Geist des großen Klassikers, als ob er nie fort gewesen wäre. Die Sinfonie jedoch stammt nicht vom Altmeister, sondern von einem jungen Romantiker, der die Partiturskizze in vier Tagen wie im frühlingshaften Rausch notiert haben will: Robert Schumann.

Seine »Frühlingssinfonie« in B-Dur, das erste große Orchesterwerk des 30-Jährigen, der bis dato ausschließlich Kompositionen für Klavier geschrieben hatte, darf als Höhepunkt des Sinfoniekonzerts vom Dienstagabend im ausverkauften Großen Haus des Stadttheaters gelten. Mit seiner Reinheit, seinem Impetus und seinem frischen Atem wirkt das Werk so jung, als hätte es der Komponist gerade eben verfasst. In Wahrheit datiert Schumanns sinfonisches Meisterstück auf das Jahr 1841.

Das reiche Klangerlebnis vom Dienstag ist Erstem Kapellmeister Florian Ziemen zu verdanken, der den Abend unter das Frühlingsthema stellte. Er führte das Philharmonische Orchester Gießen zu einer spannungsgeladenen Höchstleistung. In den Werken der jungen Romantik stets ein Garant für Qualität, spielten sich die veritablen Sinfoniker entrückt hinein in die facettenreiche Schumann’sche Welt. Ziemen gab ein pulsierendes Tempo vor, die Musiker folgten mit spürbarem Spaß und sauberer Diktion. Der Finalsatz überstrahlte mit seinem glühenden Glanz das ganze Konzert.

Meist spielt das Gießener Orchester in der amerikanischen Sitzordnung. Links vorn sind die ersten Geigen platziert, danach kommen die zweiten Geigen und die Celli, rechts vorn agieren die Bratschen, rechts hinten die Bässe. Ziemen ließ die Musiker am Dienstag in der deutschen Anordnung Platz nehmen: Die ersten Geigen (links vorn) sitzen den zweiten Geigen (rechts vorn) gegenüber, neben den ersten Geigen spielen die Celli, dann die Bratschen, links hinten stehen die Kontrabässe. Der Sound wird so etwas luftiger, transparenter, mit eingebautem Stereo-Effekt, wenn die zweiten Geigen den ersten thematisch antworten.

Zur Einstimmung auf den Schumann erklang das kleine Werk »On hearing the first cuckoo in spring« aus dem Jahr 1912 von Frederick Delius. Das Orchester musizierte zart und gefällig. Das gilt auch für den Beginn des Konzerts, den die junge Geigerin Anna Katherine Claus als sogenannte Auftaktsolistin mit dem »Frühling« aus Vivaldis »Vier Jahreszeiten« bestritt. Die Studentin der Frankfurter Musikhochschule präsentierte sich mit gutem Einfühlungsvermögen und solider Technik.

Selten gespieltes Tripelkonzert

 

Solistisch eins drauf setzten Violinistin Chouchane Siranossian (aus der letzten Spielzeit mit ihrer Interpretation von Mozarts A-Dur-Konzert in guter Erinnerung) und ihre Schwester Astrig Siranossian am Violoncello (im Dezember gewann sie den internationalen Krzysztof-Penderecki-Cello-Wettbewerb) mit Andriy Dragan am Klavier. Das Trio macht seit Jahren gemeinsam Kammermusik und kredenzte Beethovens Tripelkonzert in C-Dur.

Das selten gehörte Werk für drei Solisten und Orchester krankt ein wenig an der plakativen Klavierpartitur, die Beethoven seinerzeit dem 16-jährigen Erzherzog Rudolph von Österreich in die aristokratischen Finger komponierte. Sicher war es nicht die klügste aller Ideen, im Stadttheater den weit geöffneten Flügel mittig vor dem Orchester zu platzieren – auf diese Weise dominierte der etwas harte Klang des Tasteninstruments die Komposition.

Die Siranossian-Schwestern focht das nicht an. Sie spielten ihre schwierigen Parts mit Feuereifer und warfen sich die Motive in Windeseile und auf höchstem Niveau zu. Ihr ausgereifter Ausdruck gepaart mit technischer Raffinesse erweckte Kaskaden von betörender Saitenschönheit zum Leben. Das Orchester erwies sich unter Ziemens Führung als geduldiger und sicherer Begleiter. Nach ausgiebigem Applaus bildete ein wehmütiges Andante aus einem Klaviertrio von Arno Babajanian die Zugabe.

Manfred Merz, 09.04.2014, Gießener Allgemeine Zeitung