Sommer und Pfeiffer brillieren im TiL in »Das Interview« - Gießener Allgemeine Zeitung

09.09.2013

»Das Interview«, eine Bühnenfassung von Theo Holman nach dem Film von Theo van Gogh, hatte auf der TiL-Studiobühne zum Start der neuen Spielzeit Premiere.


»Das Kabinett tritt heute Abend zurück und ich darf zwei Titten interviewen, die keinen gescheiten Satz herausbringen können!«, schreit Polit-Reporter Pierre seinen Chef am Telefon an. Er ist sauer, weil er für einen Kollegen einspringen und sich mit Filmstar Katja zum Interview treffen soll, statt über die wirklich wichtigen Dinge, nämlich den Rücktritt der Regierung, berichten zu können. Kein Wunder also, dass das Zusammentreffen der beiden unter keinem guten Stern steht. Filmemacher und Provokateur Theo van Gogh, der 2004 von einem Attentäter getötet wurde, hat aus dieser absurden Konstellation heraus 2003 seinen Film »Das Interview« entwickelt, der nun zum Spielzeitstart in der Bühnenfassung von Theo Holman auf der TiL-Studiobühne Premiere hatte.

Das Gießener »Interview« ist mit Mirjam Sommer und Harald Pfeiffer ideal besetzt. Die beiden hauen sich in der von Bühnenbildner Bernhard Niechotz entworfenen Kissenlandschaft in Grau- und Beerentönen mit so viel Leidenschaft die Bosheiten um die Ohren, dass das Zuschauen Freude macht. Regisseurin Alice Asper setzt ganz auf das Spiel ihrer Schauspieler. Video-Einspielungen präsentieren Katja bei ihren Filmauftritten und »News«-Einspielungen tragen zum Verständnis der Hintergründe bei. Musik von Lana del Rey und Katy Perry unterstreicht die Stimmung. »Narben erkennen Narben« heißt es im Stück – und die haben die beiden Medien-
figuren in der Tat: Katja ist das nur auf Äußerlichkeiten reduzierte erfolgreiche Soap-Film-sternchen mit Silikonbrüsten und scheinbarem Silikonhirn; Pierre der abgebrühte gescheiterte Kriegsberichterstatter mit ach so hohem moralischem Anspruch. Doch nichts ist so wie es scheint und alles Fassade. Krankheit, Tod oder Erotik werden instrumentalisiert, um dem Gegenüber – und dem Publikum – Persönlichkeit vorzugaukeln. Lüge und Wahrheit lassen sich nicht mehr voneinander trennen, alles ist Schauspielerei. Ein echtes Interview kommt gar nicht erst zustande.

»Das Interview« ist Kammerspiel und Psychodrama in einem. Und zugleich eine bitterböse Kritik an der Mediengesellschaft und ihren Protagonisten, den Riemanns und Diekmanns dieser Welt. Was zählt, ist die möglichst auflagen- und quotenträchtige Story und nicht der Mensch, der hinter der Geschichte steckt. Die Lust am Klatsch will befriedigt werden und am Ende sind es doch wir alle, die diese Maschinerie in Gang halten.

Katja und Pierre prallen mit voller Wucht aufeinander. Was in Goghs Film über 90 Minuten spannend zu beobachten ist, funktioniert gekürzt auch auf der Bühne über weite Strecken. Doch jeder Streit braucht ein Finale, jedes Theaterstück einen letzten Akt. Hier enttäuscht Holmans Bühnenfassung. Das Ende ist allzu konstruiert.

Das Duo Pfeiffer/Sommer macht diesen Abend zum Ereignis. Sommer, die ohnehin in ihren bisherigen Rollen am Stadttheater stets Vollgas gegeben hat, kann als Katja ihre ganze Power ausleben. Hysterikerin, Verführerin, kleines Mädchen mit Narben auf der Seele: Katja wechselt ihre Attitüden im Sekundentakt – und Sommer genießt dieses Spiel in vollen Zügen. Wenn sie Brandi Carliles Ballade »The story« ins Mikrofon grölt, dann nimmt man ihr die Verletztheit wirklich ab. Harald Pfeiffer setzt dem exaltierten Auftritt einen zynischen, überheblichen, aber seine Emotionen nur mühsam preisgebenden Macho entgegen, der mit seinem arroganten Gehabe alle Klischees eines journalistischen Witwenschüttlers erfüllt. Aber irgendwie ist auch sein Pierre ein fast schon bemitleidenswertes Opfer – seines eigenen Charakters und der Medienscheinwelt, in der er vorgibt, zu einem »besseren Menschen« geworden zu sein.

Gießener Allgemeine Zeitung, Karola Schepp, 06.09.2013