Über die Angst in der Vorstadt - Wetzlarer Neue Zeitung

20.03.2014

Premiere für Alan Ayckbourns Stück „Bürgerwehr“ in Gießen

Temporeich und Überraschungen bis zur letzten Minute: „Bürgerwehr“, das aktuelle Stück von Erfolgsautor Alan Ayckbourn, ließ am Stadttheater dank der Präsenz seiner acht hervorragenden Schauspieler keine Langeweile aufkommen.


Wohlverdient anhaltender Applaus nach einer über zweistündigen Aufführung, die beim Schlussauftritt der Schauspieler noch einen zusätzlichen Gag bereithielt: Hauptdarstellerin Carolin Weber, die zusammen mit dem hervorragenden Milan Pešl das Geschwisterpaar Massie spielt, blieb mit einem ihrer Pumps im „grünen Rasen“ der Bühne hängen. Was blieb ihr übrig, als den Schuh aufzuheben und humpelnd, charmant lächeln, hinter dem Vorhang zu entschwinden. Dafür gab’s Sonderapplaus.


Auf dem grünen Rasen hatte die schwarze Komödie in der Regie von Thomas Goritzki ihren Anfang genommen. Das Geschwisterpaar Martin und Hilda Massie zieht ins gepflegte Wohnviertel Bluebell Hill, freut sich über die schöne Aussicht und wundert sich zugleich über die hohen Mauern.


Wenige Tage später werden beide zu Hauptinitiatoren der neuen Bürgerwehr im bürgerlichen Ortsteil, als sie einen Jugendlichen aus dem benachbarten sozialen Brennpunkt auf ihrem Grundstück entdecken. Der Zwischenfall erweist sich als ein Missverständnis, doch von nun an haben die Geschwister Angst um ihr Eigentum. Schnell finden sich eine wehrhafte Truppe zusammen: Rod Trusser (Harald Pfeiffer) zeichnet sich durch paramilitärischen Auftritt aus, Gareth Janner (Rainer Hustedt) entwickelt wegen seiner untreuen Ehefrau Amy grausame Phantasien, Luther Bradly (Vincenz Türpe)  wiederum schlägt seine Frau Magda (Mirjam Sommer) und schließlich sorge Dorothy Dogget (Petra Soltau) als ehemalige Reporterin für eine gehörige Portion Publizität bei der Boulevardpresse. Aus dem zunächst fast harmlos erscheinenden Verein entwickelt sich schnell ein Nachbarschaftsregime, das es auch mit der Überwachung in den eigenen Reihen maßlos übertreibt.


Neben der flotten Inszenierung durch Goritzki ganz im britischen Stil, trägt auch das gewitzte Bühnenbild von Heiko Mönnich viel zum Gelingen des Stückes bei.


Portrait der Mittelschicht


Variable Wandteile, die sich in Gitter oder tapezierte Flächen verwandeln können, spielen bei der Dynamik des Stückes ebenso eine Rolle wie die Drehbühne, die es ermöglicht, die schicke Wohnzimmergarnitur samt Akteuren von allen Seiten zu begutachten.
„Bürgerwehr“ ist das scharfsichtige und witzige Portrait einer paranoiden Mittelschicht, schrieb eine britische Zeitung nach der Uraufführung 2001. Thema ist die Angst seiner Figuren von den Bewohnern der Armenviertel, die in der bürgerlichen Welt nicht mehr mithalten können.


Martin Massie muss zwar am Schluss unter irrwitzigen Bedingungen sein Leben lassen, doch überraschende Wendungen und die heiteren bis ironischen Dialoge bei einer Musik (Volker Seidler) im Stil der Al Bundy-Musik sorgten dafür, dass die politische Realität nicht Oberhand gewinnt, sondern alles im Format des schwarzen Humors bleibt.  

Wetzlarer Neue Zeitung, 18. März 2014, Ulla Hahn-Grimm