Alltägliche Geschichten aus der zweiten Lebenshälfte - Gießener Anzeiger

16.09.2014

SZENISCHE LESUNG Carolin Weber und Roman Kurtz bringen Ehepaar in mittleren Jahren genau auf den Punkt / Texte von Elke Heidenreich und Bernd Schroeder

 „Alte Liebe“ – das könnte nostalgisch gemeint sein, romantisch oder einfach nur resigniert. Doch was Elke Heidenreich und Bernd Schroeder da, gestützt auf gemeinsame Erfahrung, an Geschehen, und Erinnerungen beschreiben, ist einfach das ganz normale Eheleben. Caroline Weber und Roman Kurtz setzen es in ihrer Lesung im taT perfekt um. Sonntag war Premiere.

Platziert in einem idyllischen, prachtvollen Blumengarten (Bühne von Thurid Goertz) mit einer Kopie des alten „Liebe“-Motivs von der Rückseite der Samen-Hahn-Ruine, sitzt auch Martin Spahr am Flügel dabei. Er streut im Laufe der Lesung ein paar intuitiv passende Klavierelemente ein, die kleine Akzente setzen und die Atmosphäre veredeln.

Ansonsten beherrschen Carolin Weber und Roman Kurtz die Szene, die die Lesung auch eingerichtet haben. Und wie. Vollkommen entspannt wirkend erwecken sie den szenischen Dialogroman der mit dem Grimme-Preis geehrten Autoren zu schönstem Leben. Nicht nur intonieren sie geradezu vollkommen und vermitteln das trotz gesprochener Sprache hohe Niveau der Vorlage. Sie finden schließlich auf einem gemütlichen, altmodischen, etwas abgenutzten Sofa zusammen und lassen die Dinge des Lebens vorm inneren Auge Revue passieren. Lore ist Bibliothekarin, Harry Architekt – pensioniert. Ihr aktuelles Hauptthema ist die kommende Heirat der Tochter. Gloria heiratet andauernd, findet er, und jetzt auch noch einen Reichen; klein und dick ist er. Aber versorgt, findet Lore. Sie beunruhigt die Situation irgendwie, aber zur Hochzeit fahren will sie schon. Harry nicht, aber schließlich lässt er sich breitschlagen.

Völlig glaubwürdig, geradezu naturidentisch, zeichnet der Text ein Paar in der zweiten Lebenshälfte, mit zahlreichen so typischen Eigenschaften und Erfahrungen, dass das Publikum mehrfach mitlacht – die Autoren wussten genau, worum es geht und wie man’s witzig beschreibt. Zugleich werden mit sanfter Konsequenz Entwicklungen und Eigenheiten ihrer Beziehung genau auf den Punkt gebracht. Die Figuren sind weder verbiestert noch konturlos offen, einfach zwei Menschen, die sich gewissenhaft mit ihrer Beziehung und dem Leben auseinandersetzen.

Weber und Kurtz, genau im richtigen mittleren Alter für die Figuren, bringen das genau auf den Punkt, arbeiten auch die komischen Aspekte sicher heraus, gleiten aber nie ins plump Anbiedernde ab, was die Sache sehr angenehm macht. Vielmehr lassen sie die Dialoge gleichsam für sich sprechen und setzen souverän auch kleinere Akzente – etwa einen Blick, eine plötzliche Geste – zur Abrundung ein. So kann sich der Betrachter ganz den Gesprächen der beiden hingeben und genießt die in jeder Hinsicht perfekte Umsetzung; großartig. Starker, lange anhaltender Beifall.

16.09.2014, Gießener Anzeiger