Barkeeper Maddin Schneider hat in Gießener Operninszenierung immer das letzte Wort - Gießener Anzeiger

07.04.2015

Die Barockoper boomt. Und dieser schon seit einigen Jahren anhaltende Trend lässt sich vielleicht auch dadurch erklären, dass die Werke der Barockzeit gerade wegen ihrer Beliebigkeit die Fantasie der Theaterleute herausfordern. Mittlerweile sind alle Orte und Zeiten möglich, wo das Geschehen spielen könnte: im Kindergarten, im Fitness-Studio, im Supermarkt oder auf einem fernen Planten. Warum also nicht in einem typisch amerikanischen Diner-Restaurant der 50er Jahre?

Genau dort siedelt der ungarische Gastregisseur Balázs Kovalik die fast 290 Jahre alte Oper „Der misslungene Brautwechsel oder Riccardo I.“ mit Musik von Georg Friedrich Händel und Georg Philipp Telemann an und macht daraus ein buntes Spektakel mit Musikbox, Petticoats und allem drum und dran. Mit der Handlung hat dieses Ambiente freilich nichts zu tun. Nach dreistündiger Aufführung, bei der am Premierenabend am Gründonnerstag im gut besuchten Stadttheater nicht nur der Musik gelauscht und gelegentlich geschmunzelt, sondern auch auffallend viel gegähnt wurde, drängt sich als einzige Assoziation der Kaugummi auf: Das Bühnengeschehen zieht sich wie Kaugummi – und der kommt bekanntlich aus Amerika.

Genauso gut könnte man das Stück auch in einer hessischen Apfelweinkneipe spielen lassen. Da würde der bekannte Komiker Maddin Schneider als Wirt besser hineinpassen, der mit lockeren Sprüchen und kleinen Gesangseinlagen den zähen Fluss des Geschehens ein wenig aufpeppt. So grimassiert und philosophiert er als Barkeeper Gelasius mit Käppi hinterm Tresen, bietet seinen Gästen Handkäs‘ mit Musik an, erklärt, warum Schimpansen gute Katholiken sind, und hat für jede Lebenslage einen Spruch auf Lager: „Jetze ma den Ball schön geschschschmeidig flach halte!“ Barkeeper Maddin Schneider, ohne den der Abend weniger unterhaltsam wäre, behält immer das letzte Wort.

Die lustige Figur des Gelasius ist übrigens schon von Telemann eingefügt worden, als er die Oper „Riccardo I.“ des befreundeten Komponisten Händel bearbeitete und 1729 in Hamburg am Gänsemarkt unter dem Titel „Der misslungene Brautwechsel“ auf die Bühne brachte. Neben Händels italienischen Arien stehen nun Telemanns deutschsprachige Rezitative und einige neu komponierte Arien. Den Konventionen seines Opernhauses entsprechend versah Telemann die ernste Handlung zudem mit komischen Elementen.

Knallige Farben

Bühnen- und Kostümbildnerin Angelika Höckner lässt uns in eine amerikanische Bar wie auf einem Bild von David Hockney blicken: türkisfarbene Wände, Tische, rote Sitze, große Fenstern mit Blick nach draußen und ein Tresen. Manfred Wende taucht die ganze Szenerie in grelle, knallige Bonbonfarben, wenn zur Musik aus der Jukebox getanzt wird und Petticoats fliegen. Hier also hat es den englischen König Richard Löwenherz hin verschlagen. Doch bis er seine geliebte Berengera in die Arme schließen kann, müssen noch allerlei Verwicklungen einschließlich Krieg überstanden werden.

Generalmusikdirektor Michael Hofstetter, ein ausgewiesener Barockspezialist, und das Philharmonische Orchester Gießen bringen das Werk mit erfrischender Lebendigkeit und Schwung zum Klingen und entfalten einen prallen musikalischen Bilderbogen jener Zeit. Die sowohl empfindsame als auch mit Klangpracht prunkende Musik tritt in schöner Klarheit und mit ergreifender Ausdruckskraft zum Vorschein. Mit jedem Atemzug sind Sorgfalt, Liebe zum Detail und hörbares Engagement spürbar.

Zwei Primadonnen, zwei Könige, zwei Countertenöre: Die Riege der internationalen Gesangssolisten macht den Abend zu einem Erlebnis, zu einem Fest der Stimmen. Allen voran Naroa Intxausti, die Sopranistin des Hauses, die als Berengera mit ihrer feinen Stimme eine berührende Vorstellung gibt. Ihre Arie „Komm zu mir Geliebter“ voller Anmut und Herzenswärme ist ein Glanzstück, und wenn sie den Vogel im Nest besingt, klingt es – im Zusammenwirken mit der Flöte – wie lieblicher Nachtigallengesang. Ihr Duett mit Richardus, „T’amo si“, in dem sich beide ewige Liebe schwören, geht zu Herzen. Im Vergleich zu ihr fährt Francesca Lombardi Mazzulli deutlich dramatischeres Geschütz auf: Als Formosa ist sie kämpferisch, hitzig, aufbrausend und glänzt mit vollendeten Koloraturen.

Eine imposante, sportive Erscheinung ist der Tänzer und Bariton Yannis Francois in der Rolle des zyprischen Herrschers Isacius, der als Cowboy umherstolziert und mit seiner expressiven, beweglichen Stimme punktet. Und wenn er zum Schluss seinen muskulösen Oberkörper entblößt, haben vor allem die Frauen was zu gucken.

Sportlich ist auch der Countertenor Jakub Jósef Orlinski als Philippus, der nicht nur vokal sehr gelenkig ist, sondern auch seinen Gesang mit den wildesten Sprüngen begleitet und sich schließlich mit einem Hechtsprung durchs Fenster verabschiedet. Eine Heulsuse in Polizeiunform, oder wie Maddin Schneider sagt „a arms Wörschtsche“, ist der Countertenor Magid El-Bushra als Oronte, der larmoyant Spitzentöne verströmt.

Bleibt noch der Bassbariton Tomás Král, ein Frauenschwarm, der die königliche Rolle des Richardus mit stimmlicher Eleganz, Feingefühl und Wohlklang füllt – eine strahlende Erscheinung. Da passt es nur gut, dass er zum guten Schluss als Traumschiffkapitän in schmucker weißer Uniform mit seinem Schiff die Rückwand der Bar durchbricht, um die Geliebte mit nach Hause zu nehmen.

Das Premierenpublikum dankte allen Beteiligten mit lang anhaltendem Applaus und feierte vor allem die Gesangssolisten.

 

Thomas Schmitz-Albohn, 04.04.2015, Gießener Anzeiger