»Der große Gatsby« fährt mit angezogener Handbremse - Gießener Allgemeine Zeitung

03.11.2014

Ein Hauch von Hollywood wehte am Samstagabend durchs Stadttheater. Doch es war kein großes Kino, was hier ablief, sondern eher ein braver Bilderbogen, den Matthias Kniesbeck entworfen hat.

GATSBY leuchtet in großen bunten Lettern im Bühnenhintergrund auf – und sofort stellen sich Erinnerungen an die legendäre Verfilmung mit Robert Redford aus dem Jahr 1974 ein, dem Leonardo DiCaprio 2013 noch einmal nacheiferte. Doch dieser Glamour will sich bei der Premiere im Großen Haus partout nicht einstellen. Zu bieder sind die Einstellungen, die Matthias Kniesbeck – dem Gießener Publikum noch mit seiner schmissigen Inszenierung von »Der nackte Wahnsinn« bestens im Gedächtnis – diesmal kreiert hat. Der Szenenfolge fehlt besonders vor der Pause das Tempo. Es ist, als fahre Gatsbys Limousine mit angezogener Handbremse durchs Geschehen. Zu langsam drehen sich die durchaus originellen Versatzstücke, die Ausstatterin Stephanie Kniesbeck für die Interpretation ihres Bruders gebaut hat, in den Blickpunkt. Ein Aha-Effekt stellt sich nur einmal ein, als eine opulent gedeckte Tafel aus dem Unterboden auf die Bühne fährt.

Hauptmanko ist das mangelnde Personal. Rebekka Kricheldorf, deren groteskes Erstlingswerk »Prinzessin Nicoletta« 2003 in Gießen uraufgeführt wurde, hat die Personen in ihrer Textadaption des Romans von Francis Scott Fitzgerald ohnehin schon auf die wichtigsten Figuren reduziert. Doch dann in den Partyszenen noch mit Doppelbesetzungen zu arbeiten, ist schlichtweg am falschen Ende gespart. Hier hätte geklotzt und nicht gekleckert werden müssen.

Es dauert eine Dreiviertelstunde, bis Lukas Goldbach als smarter Gatsby im strahlend weißen Anzug seinen ersten Auftritt hat und Nat King Coles »Stardust« ins Mikro haucht. Bis dahin hat erst einmal Pascal Thomas das Sagen, der als Erzähler Nick Carraway launig durch die Geschichte führt. Er ist es, der den großen Bogen vom harmlosen Anfang bis zum tragischen Ende spannt, mit seinen pointierten Kommentaren immer wieder für Schmunzeln sorgt und schließlich auch Worte findet, die nachdenklich stimmen.

Überhaupt macht die fast dreistündige Aufführung immer dann Laune, wenn sie den Witz herauskitzelt. So hat Rainer Hustedt viel Mut zur Selbstironie, wenn er – nur mit einem Handtuch bekleidet – seine ganz eigene Version von Tom Jones »Sex bomb« zum Besten gibt. Schließlich lebt sein Tom Buchanan, ehemaliger Polostar und stinkreich, in der Vorstellung, keine Frau könne ihm widerstehen – notfalls hilft er mit teuren Geschenken nach. Als ihm seine Ehefrau Daisy – Beatrice Boca in lässiger Eleganz – allerdings Hörner aufsetzt und sich dem verloren geglaubten Geliebten von früher, Jay Gatsby, zuwendet, hört bei dem Macho der Spaß auf.

Zuvor werden aber noch viele Partys gefeiert, in der Gatsby-Villa wie auch im Hause Buchanan. Mit von der Partie: Harald Pfeiffer, der eine köstliche Persiflage auf einen selbstverliebten Fotografen gibt. Es fließt reichlich Alkohol, denn die illustre Gesellschaft, zu der auch Anne-Elise Minetti als selbstbewusste Golfspielerin Jordan Baker zählt, langweilt sich mit ihrem vielen Geld zu Tode.

Dass es in den Roaring Twenties auch anders zuging, zeigen die Szenen an der Tankstelle, an der Milan Pešl als ahnungsloser Tankwart George mühsam für sich und seine hübsche Frau Myrtle den Unterhalt verdient, die längst als Toms Geliebte den Absprung in die High Society sucht und am Ende ihr Opfer wird. Mirjam Sommer beweist erneut, dass sie singen kann, wenn sie solo Janis Joplins »Oh Lord wont you buy me a Mercedes Benz« ins Mikro röhrt.

Die Musikauswahl bleibt allerdings rätselhaft, denn sie orientiert sich keineswegs an den Goldenen Zwanzigern. So erklingt Petula Clarks »Downtown« ebenso wie »Torn between two lovers«, das Mary Mac Gregor 1976 einen Hit bescherte. Für die musikalischen Neuarrangements sorgt Martin Spahr am Klavier, der von Christoph Czech am Schlagzeug, Christian Keul am Kontrabass und gelegentlich von Milan Pešl an der E-Gitarre unterstützt wird.

Wenn am Ende dann alle acht Mitspieler Bing Crosbys »True Love« intonieren, ist das Herz des Premierenpublikums milde gestimmt und es quittiert den Abend mit anerkennendem Beifall.

Marion Schwarzmann, 03.11.2014, Gießener Allgemeine Zeitung