Doktor Faust ist in Gießen unter die Tänzer gegangen - Gießener Anzeiger

02.02.2015

JUGENDCLUB TANZ Goethes Drama in ansprechend choreografierter Version voller Spielfreude

Es ist die pure Spielfreude, die derzeit von der Bühne in den Zuschauerraum des taT sprüht. Mehr noch: Dem Jugendclub Tanz des Stadttheaters, der dort seit Freitag „Faust“ zeigt, gelingt es geradezu famos, das Publikum zu packen und bis zur letzten Minute mitzureißen. Kein Wunder, dass es für diese couragierte und beachtliche Ensembleleistung am Premierenabend donnernden Applaus gab. Gemeinsam mit dem Club hat erneut Terrry Pedersen-Pfeiffer inszeniert.

Die junge Truppe bringt eine richtig gute Faust-Inszenierung auf die Bühne, die die Handlung auf rund 75 Minuten Spielzeit verknappt. So wirklich fehlt allerdings nichts: Der fein herausgearbeitete rote Faden verwebt die wichtigsten Lebensstationen des übermütigen Doktors zu einem straffen Handlungsteppich, der sich auf das Wesentliche konzentriert. Und es in feine Choreografien gießt: Mal sind die Stationen als opulente Massenszenen umgesetzt, mal als kleine, feine Interaktionen. Immer fangen diese getanzten Sequenzen – und das lässt choreografische Arbeit auf sehr hohem Niveau erkennen – den emotionalen Kern von Goethes ursprünglichen Szenen ein. Gleichzeitig wird der Fauststoff von historischem Kolorit befreit, auf seinen motivischen Kern zugespitzt und somit zu einer knackigen Parabel pointiert.

Optisch kommt das Geschehen puristisch daher, denn das Bühnenbild setzt nur auf dunkle Wände, die die Rampe im Hintergrund abgrenzen. Mehr Kulisse ist nicht, was man allerdings als einen wirklich gelungenen Ansatz bezeichnen muss, weil diese Sparsamkeit den stark pointierten Fokus auf die menschlichen Motive und Konsequenzen von Fausts und seiner Mitstreiter Handeln unterstreicht. Bei den Kostümen ist Vielfalt ohne Übermaß angesagt, die dem Zuschauer etwa durch Farben dabei hilft, gefühlsmäßigen Zugang zu Episoden wie dem Osterspaziergang zu finden.

Das Sahnehäubchen der beachtlichen Inszenierung sind allerdings die jugendlichen Darsteller. Beteiligt sind Alexandra Bähr, Myriel Bischoff, Simon Brombach, Glenn Buchholtz, Malik Herring, Hannah-Marie Klemm, Hermann Kron, Elena Leidinger, Jelena Müller, Lativa Mustafov, Johanna Rau, Miriam Schaaf, Theresa Schneider, Elena Sigmund, Philipp Strauss, Linda Weber und Marie-Louise Wiesner. Sie alle schlugen sich glänzend am Premierenabend, bei dem deutlich wurde, dass sich die Truppe sehr intensiv mit der Dramenvorlage des befasst hat und es schafft, die choreografierten Stimmungen der Handlungssequenzen auch tatsächlich mit ausschließlich tänzerischen Mitteln darzustellen. Das verdient großen Respekt, ebenso wie die Fertigkeit, die tiefen Emotionen, in die Goethe einzelne Figuren von Zeit zu Zeit gleiten lässt, rein auf Bewegungsebene und mit Mimik und Gestik sprechend zu machen. Mit Fug und Recht kann man das als Tanzkunst auf hohem Niveau bezeichnen.

Dies ist eine richtig gute Faust-Version, die vor Spielfreude nur so sprüht und in positivem Sinne ansteckend wirkt. Theaterfreunde sollten sich dieses Stück nicht entgehen lassen.

Stephan Scholz, 02.02.2015, Gießener Anzeiger