„Fratzenfisch“ über Nöte Pubertierender im taT: Lebensgefühl der Jugendlichen getroffen - Gießener Anzeiger

22.01.2015

Auf der Schultoilette passiert es. Zwischen Klos, Graffiti und zahlreichen Klosprüchen an der Kachelwand drückt sich Luca einen dicken Eiterpickel aus. Und siehe da, der große Spiegel öffnet sich und eine strahlend schöne Frau in einem langen, goldenen Kleid steht plötzlich im Raum. Es ist die Eiterfee, die dem verdutzten Jungen zwei Wünsche erfüllt. Danach verändert sich sein Leben schlagartig. Er wird ein weltberühmter Rockstar und macht sogar die Bekanntschaft von US-Präsident Obama.

Einfallsreich

Mit seiner neuesten Produktion über Ängste, Nöte und Träume in der Pubertät hat das Gießener Stadttheater einen Volltreffer gelandet. Als die Monster-Musik-Pickel-Show „Fratzenfisch“ auf der taT-Studiobühne gestern Vormittag Premiere hatte, waren die jungen Zuschauer 70 Minuten lang ganz hin und weg. Einfallsreich, witzig und auch ein bisschen schrill war das, was Regisseur Andreas Mihan und drei wandlungsfähige Darsteller zu bieten hatten. Mihan, der das Stück auch schrieb und der Lebenswelt der Jugendlichen einiges abgelauscht hat, nutzt die Spielmöglichkeiten einer Theaterbühne geschickt aus. Mit nur wenigen Veränderungen ist eine jeweils neue Spielsituation gegeben. So lebt die temporeiche Inszenierung vom raschen Wechsel der Schauplätze und Personen. Hinzu kommt die gekonnt dargebotene Livemusik durch die Darsteller, die auch sonst einfühlsam, aber keineswegs anbiedernd agieren. An den Publikumreaktionen und dem herzlichen Schlussapplaus im rappelvollen Studio war jedenfalls abzulesen, dass diese Mischung den Nerv und das Lebensgefühl der 12- bis 16-Jährigen trifft.

Aus dem Schulalltag

Die aus Gießen stammende Bühnen- und Kostümbildnerin Teresa Rinn hat ein ebenso funktionales wie eingängiges Bühnenbild geschaffen. Drei Stoffbahnen auf einer Leine zusammengeschoben setzen sich zu einer großen Tafel zusammen, vor der Luca in der Schule über seine Hobbys berichten soll. Dass dabei immer wieder Papierkugeln nach vorn fliegen, kennt jeder der jungen Zuschauer aus seinem eigenen Schulalltag. Drei andere Stoffbahnen zeigen die Schultoilette, und wenn Luca als großer Star mit seiner Band „Fratzenfisch“ auf Welttournee geht, stehen die Musiker vor einem silbernen Glitzervorhang.

In Zeitlupe

Gunnar Seidel, ehemals Mitglied im Gießener Ensemble, spielt den Jungen Luca mit seinen hochfliegenden Plänen, der zur Gitarre sein Lied für Rosa singt, sehr glaubwürdig. Eine tolle Nummer ist die Szene in Zeitlupe, in der er versucht, einen dicken Cheeseburger im Fallen wieder aufzufangen.

An seiner Seite ist die vielseitige Eva Anne Kessler als brave Rosa, als Lehrerin, Eiterfee und dralle, schrille Managerin Sabine in schwarzer Lederkluft zu erleben. Und in der Band mitspielen kann sie auch. Der Musiker Nils Weishaupt musiziert nicht nur am Schlagzeug, sondern schlüpft auch in die Maske Obamas und eines Clowns.

Keine Strafe

Bleibt noch zu erwähnen, dass sich bei der gestrigen Premiere nicht nur die jungen Leute, sondern auch die älteren Semester amüsiert und gut unterhalten gefühlt haben. Für die begleitenden Lehrerinnen ist der Theaterbesuch also keine Strafe!


Von Thomas Schmitz-Albohn, 22.01.2015, Gießener Anzeiger