Harald Schneider brilliert im neuen taT als Titelheld in „Erklärt Pereira“ von Antonio Tabucchi - Gießener Anzeiger

15.09.2014

Er ist wieder da, und das Publikum hat ihn wieder lieb. Als sich Harald Schneider, der Gießen 2005 verlassen hat und nun für die Titelrolle des Stücks „Erklärt Pereira“ von Antonio Tabucchi (1943 bis 2012) zurückgekehrt ist, am Donnerstagabend nach fast anderthalbstündiger Aufführung verneigte, schwoll der Schlussapplaus hörbar an. Dazu ertönten im vollbesetzten taT-Theater die ersten Bravorufe. Doch nicht nur Schneider, sondern alle anderen an dieser Schauspielproduktion Beteiligten haben den starken Beifall verdient: Gleich zur Eröffnung wird nämlich famoses Theater auf der neuen Studiobühne geboten.

„Erklärt Pereira“ (in der Theaterfassung von Didier Bezace) ist ein von leisen Tönen getragenes Stück über Tod und Leben, über Widerstand gegen Unterdrückung und Zensur. Mit Geschmack und feinem Gespür für Atmosphärisches und Stimmungen macht Regisseur Christian Lugerth daraus einen Theaterabend voller Poesie, Wehmut und Musik. Die leicht wehmütige Stimmung kommt dabei nicht von ungefähr, denn das Stück spielt in Portugal, genauer gesagt: im faschistischen Lissabon des Jahres 1938.

Die Bühne von Lukas Noll zeigt eine lange Bar mit Barkeeper, Flaschen und einem großen Spiegel an der Wand; davor ein Haufen durcheinanderliegender Caféhausstühle. Weiter vorne ein Tischchen mit schlichtem Stuhl, Telefon und Aktentasche – das ist die kümmerliche Redaktion des alternden Kulturredakteurs Dr. Pereira, der mit Politik nichts im Sinn hat und doch darin verwickelt wird. Das Publikum sitzt an drei Seiten drum herum und sieht, wie der von Schneider verkörperte Pereira so ganz nebenbei, aber immer stärker in den gefährlichen Strudel der politischen Verhältnisse gezogen wird. Beinahe unfreiwillig wird er zu einer Art Widerständler. Schneider, mit Weste, Krawatte, Hut und Nickelbrille nach der Mode der 30er Jahre gekleidet, spielt den müden, kränkelnden und zurückgezogen lebenden Journalisten als einen aus der Zeit gefallenen Mann, der für Balzac und die französische Kultur des 19. Jahrhunderts schwärmt, aber nicht wahrhaben will, was vor seiner eigenen Haustüre geschieht. Mit den großen, weit aufgerissenen Augen eines staunenden Kindes geht er durchs Leben, als könne er nicht glauben, was er sieht und was ihm geschieht. Als eindringlicher Darsteller, der über vielerlei Nuancen verfügt, weiß Schneider ganz genau, wie er in der intimen Nähe zum Publikum Sympathie für diese widersprüchliche Figur weckt.

Die intensive Darstellung Schneiders wird von Rainer Hustedt als Erzähler in einen epischen Zusammenhang gebracht, in dem die ständigen Hinweise im Text, „erklärt Pereira“, einen Sinn erhalten. Hustedt stellt in dieser Inszenierung erneut seine große Wandlungsfähigkeit unter Beweis, denn er schlüpft in rascher Folge in die unterschiedlichsten Rollen. Eben noch zankt er als herrische Portiersfrau Celeste mit Pereira, um gleich darauf als lässiger Freund Silva alle seine Bedenken zu zerstreuen und ihn letztlich als tyrannischer Zeitungsherausgeber und Gefolgsmann des Regimes unter Druck zu setzen.

Pascal Thomas stellt den jungen Widerstandskämpfer Monteiro Rossi glaubhaft in seinem Eifer und jugendlichen Überschwang dar, und Anne Berg gibt als dessen Freundin Marta eine schöne Vorstellung. Wenn sie in ihrem hübschen, gepunkteten Sommerkleid mit Pereira zu einem melancholischen Fado tanzt, ist das ein berührender Moment. Portugalfans sollten den Abend nicht versäumen.

Thomas Schmitz-Albohn, 13.09.2014, Gießener Anzeiger