Harald Schneider brilliert im taT in »Erklärt Pereira« - Gießener Allgemeine Zeitung

15.09.2014

Ein Wiedersehen mit Schauspieler Harald Schneider gibt es nun mit Antonio Tabucchis »Erklärt Pereira«. Es ist die erste Schauspielinszenierung auf der neuen taT-Studiobühne.

»Nun, was soll’s« beendet der Lissabonner Kulturjournalist Pereira stets seine Monologe, wenn er wieder dem Bildnis seiner verstorbenen Frau von seinen Alltagserlebnissen erzählt. Die politischen Unruhen in seinem Land unter der Salazar-Diktatur will er nicht wahrhaben und den Europa überrollenden Faschismus ebenso wenig. Er vergräbt sich stattdessen in seinem Redaktionskämmerchen, wo er die Kulturseite der katholisch orientierten Wochenzeitung mit feuilletonistischen Artikeln füllt. Erst als er den jungen Monteiro Rossi und dessen idealistische Freundin Marta kennenlernt, verändert sich Pereiras Blick – und er erkennt die Notwendigkeit eines politischen Bewusstseins und Handelns, auch wenn es sich am Ende nur in ein paar »individualanarchistischen« Zeilen in der Zeitung ausdrückt.

Christian Lugerth, der schon die ehemalige Studiobühne im Löbershof sowohl als Schauspieler als auch als Regisseur mannigfaltig bespielt hat, wurde die Aufgabe übertragen, die neue taT-Studiobühne am Berliner Platz mit »Erklärt Pereira« nach dem 1995 publizierten Welterfolg des Italieners Antonio Tabucchi (Bühnenfassung: Didier Bezace) einzuweihen. Bühne und Kostüme hat Lukas Noll entworfen. Entstanden ist eine sehr dichte Inszenierung, die dem ruhigen Erzählduktus der Romanvorlage mehr als gerecht wird und den fast schon intimen Charakter der neuen Spielstätte würdigt. Die Zuschauer sitzen quasi mit Pereira an seiner Schreibmaschine oder in der Bar, in der er sich mit einer zuckersüßen Zitronenlimonade zu trösten versucht, weil er die Welt, in der er lebt, nicht mehr versteht. Ein verspiegelter Tresen im Hintergrund, ein paar Stühle, eine Anrichte mit dem Bildnis von Pereiras Frau, ein bisschen Fado-Musik und ein Holzkasten, in dem die Pförtnerin sitzt, die Pereira dem Anschein nach von Staats wegen kontrollieren soll, – mehr braucht es nicht, um das Publikum mitten hinein in die dunkle Vergangenheit Portugals im Jahre 1938 zu schicken.

Harald Schneider, der hiermit als Gast an seine ehemalige Wirkungsstätte am Gießener Stadttheater zurückkehrt, spielt den alternden Feuilletonisten Pereira mit großer Eindringlichkeit und zarten Gesten. Er schafft es, dass man den schmächtigen Mann im Anzug und ohne dass wir wenigstens seinen Vornamen kennen, von Anfang an mag – obwohl er feige und verschroben ist und sich mehr für den Tod als für das Leben um ihn herum interessiert. Er wirkt zerbrechlich und voller Reue und Melancholie darüber, dass sein Leben nicht so verlaufen ist, wie er es sich vielleicht als junger Mann gewünscht hatte. Doch als Salazars Schergen den revolutionären Rossi in Pereiras Wohnung erschlagen, da beweist dieser kleine Mann großen Mut in seiner »Zeugenaussage«, wie die Romanvorlage im Untertitel formuliert.

Monteiro Rossi (und auch den Arzt Dr. Cardoso) spielt Pascal Thomas mit dem erforderlichen jugendlichen Elan. Dieser junge Doktorand, dessen von Pereira in Auftrag gegebene Nachrufe auf bekannte Dichter zur Abrechnung mit den faschistischen Gedankenträgern werden, folgt eher seinem Herzen als dem Verstand. Er ist zwar ein bisschen blauäugig, hat aber den nötigen Idealismus, den seine Freundin Marta (charmant und selbstbewusst: Anne Berg) im Gespräch mit Pereira fordert. Rainer Hustedt schließlich obliegt es, den den Roman mit seinen Formulierungen »..., erklärt Pereira« so prägenden Erzähler auf die Bühne zu transformieren. Ein durchaus gelungener Kunstgriff. Auch als Pförtnerin Celeste, als philosophierender Freund Silva und als obrigkeitstreuer Zeitungsherausgeber ist Hustedt im Einsatz. Kleinere Auftritte hat auch Alexander Reich, der als Barkeeper Manuel und Rossis Partisanen-»Cousin« Bruno mitwirkt.

Hingehen lohnt sich.

Karola Schepp, 13.09.2014, Gießener Anllgemeine Zeitung