Harmloser Wohnungstausch mit explosivem Potenzial - Gießener Anzeiger

12.01.2015

BEZIEHUNGSKOMÖDIE Spielfreudiges Darsteller-Quartett in Moritz Rinkes Erfolgsstück „Wir lieben und wissen nichts“ im taT-Studio

Bei diesem Stück, das seit seiner Uraufführung im Dezember 2012 am Schauspiel Frankfurt bereits auf vielen Bühnen im Lande mit großem Erfolg gelaufen ist, kann man eigentlich nichts verkehrt machen. Mit seinen flotten Dialogen und zündenden Pointen ist die Beziehungskomödie „Wir lieben und wissen nichts“ von Moritz Rinke viel zu bühnenwirksam, als dass man sie vermasseln könnte. Und dass das moderne Boulevardstück des 47-jährigen Autors, der in Gießen Angewandte Theaterwissenschaften studiert hat, für Schauspieler ein gefundenes Fressen ist, stellt ein spielfreudiges Quartett auf der taT-Studiobühne facettenreich unter Beweis. Dort ist die temporeiche Inszenierung von Ragna Kirck bei der Premiere am Freitagabend mit herzlichem Applaus aufgenommen worden. Obwohl fast zwei Stunden ohne Pause gespielt wird, gibt es keinen Leerlauf. Es wird viel gelacht und geschmunzelt, und die Zeit vergeht wie im Flug. Das spricht für die Qualität dieses Theaterabends, den man nur weiterempfehlen kann: Hingehen!

Der Komödiendichter ist ein Arzt am Leibe seiner Zeit, formulierte schon Molière. Indem der Dichter uns unsere eigenen Schwächen vor Augen führt und sie der Lächerlichkeit preisgibt, lachen wir in einer guten Komödie natürlich in erster Linie über uns selbst. So auch bei Rinke, bei dem zwei Paare und damit vier Lebensentwürfe aufeinanderprallen. Am Ende kommt es zum großen Eklat, der alle bisherigen Beziehungen plötzlich in Frage stellt.

Wenn der von Milan Pesl gespielte Kunsthistoriker Sebastian zu Beginn vor einer großen blauen, stark stilisierten Bücherschrankwand (Bühne und Kostüme: Jule Dohrn-van Rossum) sitzt und seelenruhig in einem Buch blättert, deutet noch nichts auf die explosive Atmosphäre hin, die sich schon bald in dem trauten Studierzimmer ausbreiten wird. Der erfolglose Schriftsteller und Vorwortschreiber, der eigentlich immer hier bei seinen Büchern bleiben möchte, muss raus – und zwar sehr bald. Er soll seine Freundin Hannah (Beatrice Boca) nach Zürich begleiten, wo sie als Relaxing-Coach Atemkurse für gestresste Bankmanager geben soll. Aus diesem Grund hat Hannah einen Wohnungstausch per Internet verabredet: Sie ziehen für zwei Monate in die Zürcher Wohnung von Roman und Magdalena, während Roman (Rainer Hustedt) und Magdalena (Mirjam Sommer) für diese Zeit ihre Wohnung übernehmen.

Bei der Schlüsselübergabe brechen Gegensätze auf, die unterschiedlichsten Weltanschauungen kommen zum Vorschein. Und es ergeben sich erotische Überkreuzverbindungen.

Beatrice Boca spielt die taffe Atemtherapeutin Hannah als leicht nervöse, aufgekratzte Frau, in der es innerlich brodelt. Sie vermittelt das Gefühl, als habe sie ständig Angst, irgendetwas falsch zu machen. Am liebsten wäre sie Mutter, aber das mit Sebastian vereinbarte Wunschkind ist trotz Fruchtbarkeits-App bislang ausgeblieben. Während sie hektisch hin- und herläuft, Kisten verstaut und Koffer für den Umzug packt, scheint Sebastian an seinem Stuhl festzukleben. Milan Pesl zeigt, dass dieser verträumte Bücherwurm offenbar in sich selbst ruht und inmitten der Umzugskartons weitschweifige Vorträge über die sexuellen Ausschweifungen von Renaissance-Päpsten und die freizügige Kultur der Adamiten hält.

Ein Mann von einem ganz anderen Kaliber ist Roman, ein Technik- und Computerfreak, der als Experte für Datenübertragungssysteme einem unmittelbar bevorstehenden Satellitenstart in Kasachstan entgegenfiebert. Rainer Hustedt zeichnet diese Figur mit feiner Ironie und verleiht ihr auch eine spitzbübische Note, wenn er mit Hannah anbändelt. Beim verschlampten Kennwort für den WLAN-Anschluss kennt er allerdings keinen Spaß.

Die interessanteste, hintergründigste Figur in diesem Quartett ist jedoch die Tiertherapeutin Magdalena, die in Mirjam Sommers vorzüglicher Darstellung von einer stillen, geheimnisvollen Aura umgeben ist. Sie, die sich von ihrem Mann in eine Anti-Cellulite-Kühlbox stecken lässt, um ihm zu gefallen, taut nach dem Genuss von Prosecco nach und nach auf und entwickelt sich immer stärker zum eigentlichen Motor des Spiels. Alles in allem ein erfrischender Komödienabend.

 

Thomas Schmitz-Albohn, 12.01.2015, Gießener Anzeiger