»Michael Kohlhaas« auf der taT-Studiobühne - Gießener Allgemeine Zeitung

02.03.2015

Was ist Recht, was Gerechtigkeit? Und heiligt der Zweck die Mittel? Heinrich von Kleist hat das 1810 in seiner Novelle »Michael Kohlhaas« thematisiert. Astrid Jacob inszeniert den Text als Bühnenfassung auf der taT-Studiobühne – eine Lehrstunde für Wutbürger.


Eine »abscheuliche Ungerechtigkeit« ist dem Rosshändler Michael Kohlhaas widerfahren: Seine Pferde bekommt er an der Landesgrenze abgenommen und zugrunde gerichtet, sein Knecht wird verprügelt, seine Frau getötet, wegen Vetternwirtschaft wird ihm juristische Genugtuung verweigert. Aber rechtfertigt das maßlose Selbstjustiz? Darf Kohlhaas aus Rache eine Stadt niederbrennen und eine Rebellion anzetteln? Hat er nicht einfach nur aus einer kleineren Ungerechtigkeit großes Unrecht geschaffen? Heinrich von Kleist erzählt davon in seiner Novelle »Michael Kohlhaas«. Eine Bühnenfassung für Erwachsene und Jugendliche ist nun in der taT-Studiobühne zu sehen. Astrid Jacob inszeniert und zeigt: Kleist greift eine der elementaren Fragen der Menschheit auf, die uns auch heute beschäftigt.

»Was hätte er tun sollen?«, fragen die Schauspieler am Ende des rund 80-minütigen Theaterabends in das Publikumsrund. Und eigentlich hat man darauf keine Antwort, nur weitere Fragen: Wie kann man sich Recht verschaffen, wenn man durch Klüngel, Ignoranz oder Machtgehabe ausgebremst wird? Ist Rache eine vertretbare Lösung? Und ist es die Sache wert, sein eigenes und das Leben anderer aufs Spiel zu setzen, damit die Welt gerecht wird?

Schon häufiger wurde die Novelle für die Bühne – oder kürzlich auch für die Kinoleinwand – adaptiert. Nicht immer überzeugend, denn die ungeheure Sprachwucht des Kleistschen Textes darf nicht verloren gehen und das komplizierte Geflecht von Personen und Intrigen muss nachvollziehbar bleiben. Astrid Jacob gelingt dies. Ihre chronikartige Version gehört zu den gelungenen Beispielen dafür, dass ein Prosatext auch auf der Bühne überzeugen kann. Die Regisseurin lässt die drei in Weiß gekleideten Schauspieler des Quartetts in die unterschiedlichen Rollen schlüpfen. Ein übergeworfener Mantel und ein anderer Zungenschlag – und schon agieren die durchweg überzeugenden Sebastian Songin, Harald Pfeiffer oder Anne Berg nicht mehr als Erzähler am Mikrofon, sondern als dumm-dreister Junker Wenzel, aufrichtiger Knecht Herse oder patente Ehefrau Lisbeth auf der kleinen Bühne, die Bernhard Niechotz mit stark reduzierten Mitteln ausgestattet hat. Ein dreistufiges Metallpodest, an die Rückwand projizierte Orts- und Personenangaben und ein paar wenige Requisiten reichen, um dem permanenten Wechsel von Spiel- und Erzählstücken den passenden Raum zu geben – und die komplexe Handlung nachvollziehbar zu machen.

Nur Pascal Thomas bleibt als maßloser Wutbürger Michael Kohlhaas dauerhaft präsent. Mit merkwürdiger Kappe auf dem Kopf, rustikaler Lederjacke und einer riesigen Narbe quer über das Gesicht hat er von Beginn an eine eher martialische Ausstrahlung. Thomas, sonst eher auf smarte und gefällige Rollen aboniert, darf sich als Kohlhaas von einer ganz anderen Seite zeigen – und meistert die Herausforderung mit Bravour. Mitleid hat man für seinen maßlosen Rebellen nur bedingt, aber verstehen kann man die wahnsinnige Wut schon, die den tragischen Antihelden ergreift. Kohlhaas wütet, besteht starrsinnig auf seinem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, argumentiert gegen Windmühlen und Intriganten an und findet beim finalen Gang zum Schafott mit schelmischem Lächeln Genugtuung – denn er hat dem Kurfürsten am Ende doch noch ein Schnippchen schlagen können. Auch wenn der Zuschauer weiß, dass, wie Sebastian Songin es als Martin Luther im Stück betont, »Unrecht nicht durch Unrecht ins Recht gesetzt« werden kann, überlegt er doch am Ende: Was sonst hätte er tun sollen?

Karola Schepp, 27.02.2015, Gießener Allgemeine Zeitung