Moritz Rinkes »Wir lieben und wissen nichts« im taT - Gießener Allgemeine Zeitung

12.01.2015

Treffliche Attacken: Moritz Rinkes »Wir lieben und wissen nichts« in der taT-Studiobühne. Achtung! Hier wird scharf geschossen – mit der Kanone und mit Worten.


Zwei Paare üben den Wohnungstausch: Was als amüsantes Geplänkel mit vielen komischen Missverständnissen beginnt, mündet in ein Desaster. Am Ende ist nichts mehr so, wie es mal war: Die beiden Frauen haben schweren Herzens ihre Partner verlassen. Zu tief sind die Risse, die sich im ermüdenden Alltag der mehrjährigen Beziehungen wie unüberwindbare Gräben aufgetan haben.

»Wir lieben und wissen nichts«, behauptet der Dramatiker Moritz Rinke in seinem kurzweiligen, intelligenten Stück, das im Dezember 2012 am Schauspiel Frankfurt in der Regie von Intendant Oliver Reese uraufgeführt wurde und nun, gut zwei Jahre später, in der taT-Studiobühne am Freitag seine Premiere hatte. Dabei erweist sich Ragna Kirck einmal mehr als präzise Regisseurin, die das richtige Gespür für Pointen-Timing und Momente des Durchschnaufens und der Ernüchterung hat. Sensibel führt sie das Quartett durch den pausenlosen, fast zweistündigen Abend und findet auch noch einen logischeren Schluss als die Frankfurter Uraufführung, bei der sich unerklärlicherweise zwei Eisbären über die Bühne trollen. Hier in Gießen bleibt der wunderbar agierende Milan Pešl als herrlich überdrehter Kunsthistoriker Sebastian allein in der Wohnung zurück – und macht dabei ein ziemlich ratloses, trauriges Gesicht.

Wie es dazu kommen konnte? Das ist eine köstlich gestrickte Beziehungsgeschichte heutiger Zeit, in der Rinke clever mit Gefühlen und Bedürfnissen spielt, dabei mit trefflichen verbalen Attacken nicht spart. Der ehemalige Student der Angewandten Theaterwissenschaften in Gießen versteht sein Handwerk meisterlich und liefert den Darstellern dankbares Futter für ihre Figuren. Dabei könnten die Charaktere nicht unterschiedlicher sein. Der Hypochonder Sebastian, der sich weigert, seine gewohnten vier Wände zu verlassen, ist ausgerechnet mit der toughen Hannah liiert, die Beatrice Boca zunehmend als zielstrebige Zicke am Rande des Nervenzusammenbruchs zeichnet, denn schließlich steht ihre Karriere – sie bringt skrupellosen Bankern entspannendes Atmen bei – auf dem Spiel.

Auch die Wohnungstauschpartner aus Zürich, wo Hannah ihren nächsten Kurs abhalten soll, verschließen zunächst ihre Augen vor der Wahrheit. Rainer Hustedt steigert sich als Technikfreak Roman in virtuellen Aktionismus, weil er einfach nicht registrieren will, dass er seinen Job in der Computerfirma längst verloren hat. Während Mirjam Sommer als seine Frau und Tiertherapeutin Magdalena mit zunehmendem Prosecco-Konsum zur Höchstform aufläuft. Ihre Sanftmut weicht nach und nach dem totalen Durchblick. Sie, die sich so sehr nach Liebe, Zärtlichkeit und Nähe sehnt, hat die Erniedrigungen und Verletzungen satt, nimmt all ihren Mut samt Koffer zusammen und geht.

Jule Dohrn-van Rossum hat für das unterhaltsame Tauschgeschäft, bei dem kurzzeitig auch mal die Partner gewechselt werden, einen funktionellen dreieckigen Raum in kühlem Blau mit Bücherwand geschaffen, in dem Requisiten wie ein altmodischer Entsafter und eine geladene Pistole aus Vorkriegszeiten eine große Rolle spielen. Achtung! Hier wird scharf geschossen – mit der Kanone und mit Worten.

Marion Schwarzmann, 12.01.2015, Gießener Allgemeine Zeitung