Nicht von dieser Welt - Gießener Allgemeine Zeitung

05.05.2015

Hörspiel »Solaris« und »2001: Odyssee im Weltraum«

Mobiltelefone im Flugmodus, Zuschauer mit Kopfhörern und ein nahezu abgedunkelter Raum: Das Live-Hörspiel »Solaris« auf der taT-Studiobühne ist ein extraterrestrisches Theatererlebnis.

Als Kosmonaut Juri Gagarin 1961 erstmals um die Erde kreiste, da hatte der polnische Science-Fiction-Autor Stanislaw Lem eine Vision: Was wäre, wenn wir Menschen im All einer anderen Lebensform begegnen, die uns intellektuell und auch wegen anderer Fähigkeiten weit überlegen ist? Könnten wir einander überhaupt verstehen? Wäre Kommunikation möglich? In seinem Roman »Solaris« ging Lem dieser Frage nach. 

Stadttheater-Schauspieler Milan Pešl hat die Romanvorlage, dramatisiert von Tim Staffel, zu einem Live-Hörspiel umgearbeitet, das nun auf der taT-Studiobühne gegeben wird: Ein für Augen und Ohren ebenso ungewohntes wie anregendes Erlebnis, das dank der großen Hörspiel-Erfahrung Pešls rundum stimmig ist. Am Freitagabend war die gelungene Premiere.

Im fast vollständig abgedunkelten Raum (Bühne: Thurid Goertz) sitzen die Zuschauer vis-à-vis. Sie tragen Funkkopfhörer, über die die Stimmen der an vier Tischen in der Mitte sitzenden Schauspieler übertragen werden. Sphärische Musik von Milan Pešl an der E-Gitarre und Martin Spahr am Keyboard sowie Geräusche, die Katharina Sendfeld an einem Extratisch sitzend mit Gläsern, Wasser und anderem produziert, werden dazu gemischt. Tomi Hagemann und Dirk Müller steuern diesen Live-Mix an ihrem Mischpult. 

Wer »Gravity« im Kino gesehen hat, kennt das permanente Weltraumrauschen, das sich wie ein Klangmantel über alles legt. Zu sehen gibt es – hat man sich einmal an die Dunkelheit gewöhnt – nicht allzu viel. Zu hören dafür um so mehr und die Geschichte zieht eine gute Stunde lang in Bann. 

Auf dem Planeten »Solaris« – irgendwo zwischen zwei Sonnensystemen – trifft der Psychologe Kris Kelvin (Roman Kurtz) auf einer Raumstation auf die beiden psychisch angeschlagenen Forscher Snaut (Rainer Hustedt) und Sartorius (Carolin Weber). Ein anderer Wissenschaftler hat bereits Selbstmord begangen. Aus dessen Aufzeichnungen erfährt Kelvin, dass der riesige Ozean auf »Solaris« etwas mit den seltsamen Vorgängen zu tun hat. Er kann offenbar aus Erinnerungen und Schuldgefühlen Wesen erschaffen, die den Protagonisten als unliebsame »Gäste« erscheinen. Und auch Kelvins durch eigene Hand gestorbene Frau Harey (Anne-Elise Minetti) scheint so als dreidimensionales Abbild wiederzukehren. Doch die halluzinierte Harey erkennt, dass sie nicht ein Original, sondern ein aus Erinnerungen geformtes »F-Gebilde« ist. Das unzerstörbare Wesen hilft den Wissenschaftlern, allerdings ohne Kelvins Einverständnis, sich selbst zu »töten«. Eine Verständigung zwischen den Menschen und »Solaris« ist nicht mehr möglich. 

Acht Jahre vor der ersten Landung eines Menschen auf dem Mond hat der hochbegabte Visionär Lem in seinem Roman die Frage gestellt, wie der Mensch überhaupt mit einer fremden Lebensform in Verbindung treten kann. Fragen, die sich aktuell wieder bei Exkursionen zum Mars stellen. Urmenschliche Ängste und Hoffnungen spiegeln sich darin wider – und die Ahnung, dass die Menschheit an ihre Grenzen stößt. 

Lems Werke wurden in 57 Sprachen übersetzt und mehr als 45 Millionen Mal verkauft. Er ist einer der meistgelesenen Science-Fiction-Autoren. Sein Roman »Solaris« wurde, unter anderem 2002 von Steven Soderbergh, mehrfach verfilmt, was beim polnischen Autor allerdings auf keine Gegenliebe stieß: »Blödsinn! Absoluter Blödsinn. Alles Interessante an meinem Roman bezog sich auf das Verhältnis der Menschen zu diesem Ozean als einer nicht-humanoiden Intelligenz – nicht auf irgendwelche zwischenmenschlichen Liebesgeschichten«, schimpfte der 2006 verstorbene Philosoph. 

Auch in Pešls Hörspiel-Fassung liegt der Fokus auf der Beziehung zwischen Kelvin und der wie auch immer gearteten Harey. Doch die Live-Hörspiel-Atmosphäre lässt die Zuschauer/-hörer parallel zur »Liebesgeschichte« nachvollziehen, wie verstörend die Begegnung zwischen Mensch und extraterrestrischer Macht sein kann und wie leicht der Mensch an einer solchen Herausforderung scheitern kann. Lem würde das sicher gefallen haben.

Science-Fiction im Doppelpack 

Das Stadttheater hat für alle Science-Fiction-Fans ein besonderes Paket geschnürt. Am Sonntag, 10. Mai, kann man im Anschluss an die 20-Uhr-Vorstellung von »Solaris« auf der taT-Studiobühne gegen 22 Uhr im benachbarten Kinopolis den legendären, von Lems Roman inspirierten Filmklassiker »2001: Odyssee im Weltraum« von Stanley Kubrick auf der Leinwand erleben.

Carola Schepp, 04.05.2015, Gießener Allgemeine Zeitung