Nur eine Berührung, nur ein Blick - Wetzlarer Neue Zeitung

19.02.2014

Premiere des Musikdramas "For a Look or a Touch" im TiL

Gießen. Nach einer Stunde intensiv gespielten und erlebten Theaters entlud sich ein nicht enden wollender Beifall mit starkem Getrampel und Bravorufen. Tomi Wendt (Manfred) und Roman Kurtz (Gad Beck) haben im TiL die bis zum heutigen Tag noch wirkende deutsche Vergangenheit lebendig gemacht.

Die deutsche Erstaufführung des Musikdramas "For a Look or a Touch", die der amerikanische Komponist Jake Heggie 2007 geschrieben hat, basiert auf dem Dokumentarfilm "Paragraph 175" und den Erinnerungen des homosexuellen Juden Gad Beck.

Manfred, sein Geliebter, wird mit der Familie ins KZ gebracht, doch trotz mutiger Versuche, ihn zu befreien, zieht es Manfred vor, mit der Familie im Sammellager zu bleiben und zu sterben. Jahre später erscheint Manfred als Engel mit Flügeln (ein Touch von Kitsch), die Oper der Erinnerung nimmt ihren tragischen Lauf.

Martin Spahr führt die acht Mitglieder aus dem Philharmonischen Orchester mit größter Konzentration und gibt Klarinette, Flöte, Geigen, Klavier und Cellos Klangraum, so dass jedes Instrument seine Individualität entwickeln kann. Besonders Klarinette (Carol Brown) und Solo-Cello (Michael Preuss) interpretieren das Drama mehr als es nur zu illustrieren. Die tonale Musik klingt melodiös, spätromantisch, verzichtet auf leeres Geschwafel und animiert durch jazzige Zitate.

Die ernste und bedrückende Story erfährt eine extrem unterhaltsame Nuance, wenn das Orchester zur Band wird, mit Zylindern auf "Cabaret" macht und die Darsteller zu Showstars werden. Doch ist dies nur ein Tanz auf dem Pulverfass, der die angedeuteten Schrecken der NS-Zeit nicht vergessen machen kann.

Regisseur Richter lässt den beiden Akteuren viel Spielraum

Regisseur Hans Walter Richter, der mehrfach in Gießen inszeniert hat, meidet jegliche Larmoyanz, lässt beiden Künstlern viel Spielraum und scheut sich auch nicht davor, ihre Körpersprache bis an die Grenzen auszuloten.

Sehr ruhig beginnt der Abend, 15 Minuten fällt kein Wort, wenn zur Musik ältere und aktuelle Einblendungen (Hollande, Putin) zum Thema erscheinen, manchmal ein etwas zu rascher Wechsel. Der Zuschauer hat dabei Zeit, sich mit dem Bühnenbild von Bernhard Niechotz vertraut zu machen.

Die Bühne wird durch Verstrebungen zum imaginären Raum zwischen Realität und Traum. Grablichter und Fotos sind überall zu Stillleben versammelt, ein Tagebuch in einer Vitrine ist Hinweis auf archivierte Erinnerung. "Do you remember?" (die Texte werden auf Deutsch eingeblendet) singt Tomi Wendt leitmotivisch und macht bewusst, was "For a Look or a Touch" damals bedeutete. Dies war schon ein Indiz der Homosexualität.

Ein starkes Bild des Abends, wenn Roman Kurtz von den Schrecken der KZ berichtet und Wendt in atemlosen Vokalisen das Grauen relativiert. Chapeau.

Peter Merck, 18.02.2014, Wetzlarer Neue Zeitung