Oper vom Feinsten - Der Neue Merker online

02.02.2015

Ganz großes Theater konnte man anlässlich der Premiere von „Linda di Chamounix“ im Stadttheater Gießen erleben. Diese von Gaetano Donizetti 1842 in Wien uraufgeführte Oper wurde zu Lebzeiten des Komponisten ein Riesenerfolg, geriet jedoch im ausgehenden Jahrhundert in Vergessenheit. In Deutschland wurde es über 100 Jahre nicht mehr in den Spielplan aufgenommen, nun hatte Intendantin Cathérine Miville den Mut, es wieder auf die Bühne zu bringen. Mut deshalb, weil es einer großen Koloratursopranistin bedarf, die die anspruchsvolle Partie der Linda erfüllen sollte. Da konnte man mit einer aus dem eigenen Ensemble stammenden Künstlerin aufwarten, nämlich der in Spanien geborenen Naroa Intxausti, die bereits in vielen Partien auf sich aufmerksam gemacht hatte und die dieser Herausforderung absolut gewachsen war. Damit war der Grundstein gelegt für eine weitere Raritätenoper des  19. Jhs., für deren Aufführungsreihe das Stadttheater Gießen inzwischen weit über die Grenzen bekannt ist.

Mit Hans Walter Richter konnte man einen Regisseur gewinnen, der in schöner,  überzeugender klassischer Manier die tragische Liebesgeschichte zusammen mit seinem Bühnen- und Kostümausstatter Bernhard Niechotz in wunderbare Bilder verpackte, hervorragende Personenregie leistete und die Szenerie dem Text und den hinreißenden Melodien anpasste. Unterstützt wurde er von grandiosen Solisten: neben der bereits erwähnten großartigen Naroa Intxausti der Tenor Leonardo Ferrando als Carlo, der sich durch italienischen Schmelz auszeichnete, Cozmin Sime als Antonio, Lindas Vater, der nicht nur mit einer starken Bass-Stimme, sondern mit großartiger Darstellung glänzte, Tomi Wendt als Il Marchese di Boisfleury, der das Publikum mit seinem gepflegten Bariton, viel Komik und Spielleidenschaft begeisterte, Sofia Pavone als Pierotto, die über eine feine, schlanke Altstimme verfügt und dazu noch sehr ausdrucksstarke Darstellung bot, Michaela Wehrum, Lindas Mutter, Mezzo-Sopranistin mit viel Gefühl in Stimme und Rollengestaltung und Calin Valentin Cozma als Präfekt von Chamounix, der eine vokale und autoritäre Bühnenpräsenz besaß, die fesselte.

In den großen Chorpartien beeindruckten Chor und Extrachor des Stadttheaters, ergänzt vom Kinder- und Jugendchor. Und das Philharmonische Orchester unter der musikalischen Leitung von Florian Ziemen rundete das Ganze zu einem Ereignis ab, das man schon als kleine Sensation bezeichnen kann. Belohnt wurden alle Beteiligten mit nicht enden wollendem Applaus, Bravi-Rufen und „standing ovations“! Ein Muss für jeden Opernliebhaber, der das Besondere liebt.                                            

Inge Lore Tautz, Der Neue Merker online