Sehenswert: »Der Weibsteufel« in der taT-Studiobühne - Gießener Allgemeine Zeitung

03.11.2014

Knapp 100 Jahre alt ist das Schauspiel »Der Weibsteufel« von Karl Schönherr. Wolfram J. Starczewski zeigt nun mit seiner Inszenierung in der taT-Studiobühne, im spektakulären Bühnenbild von Lukas Noll, dass die Dreiecksgeschichte um Begierde, Gier und Missbrauch auch heute noch »up to date« ist.

»Mich habt ihr alle als Köder ausgestellt«, klagt die Frau an. Und zeigt schon allein mit diesem Satz, dass der Titel des neuen tAT-Stücks »Der Weibsteufel« irreführend ist. In Karl Schönherrs 1915 uraufgeführtem Schauspiel geht es nicht um eine Frau, die Männer mit teuflischer Hinterlist aus eigenem Antrieb ins Verderben stürzt, sondern um ein Weib, das mit den Möglichkeiten seines Geschlechts ums nackte Überleben kämpft – von den Männern in eine Lage gebracht, die ihr kaum eine andere Wahl lässt.

Ein Ehepaar in den Tiroler Bergen schlägt sich als Hehler durch, will den sozialen Aufstieg schaffen. Vom eigenen Haus im Tal träumen sie. Den Traum vom eigenen Kind hat die Frau hingegen scheinbar aufgegeben. Da wird ein junger Grenzjäger auf sie angesetzt, um den illegalen Schwarzhandel in den Bergen auffliegen zu lassen. Der Ehemann drängt sein Weib, den schneidigen Polizisten zu verführen und so abzulenken. Doch beider erotische Anziehung durchtreibt den Plan und lässt »die Hütte brennen«. Und am Ende muss einer ins Gefängnis, der andere ist tot – die Frau bekommt als Gewinnerin das erhoffte Haus im Tal.

Wolfram J. Starczewski inszeniert das alpenländische Beziehungsdrama im sensationellen Bühnenbild von Ausstattungsleiter Lukas Noll und mit dem Schauspielertrio Carolin Weber, Roman Kurtz und Maximilian Schmidt, das den Premierenabend zu einem uneingeschränkten Genuss macht. Die Schmugglerbehausung auf dem Berg ist ein riesiger Holzkasten, in dem die wie Balkenhol-Skulpturen wirkenden Protagonisten über den Köpfen der rundum sitzenden Zuschauer ihren Kampf wie im Boxring austragen. Der »Fuchsbau« mit seiner niedrigen Decke, dem fast nur über eine Leiter zu bewältigenden Aufstieg und der großen Truhe, in der die Frau ihre »Heimlichkeiten« verbirgt, ist so einfach wie genial. Nah am Abgrund agieren die Schauspieler und sind doch mittendrin. Die von Volker Seidler arrangierte Musik – eine Art Elektro-Streicher-Pop – sorgt für zusätzliche Dramatik.

Starczewski gelingt es, die alpenländische Gebrauchsdramatik Schönherrs von jeglicher Heimatfilmromantik zu befreien. Auch wenn die Schauspieler den Dialekt andeuten und mit Filzpuschen, Grenzeruniform oder dirndlartigem Sommerkleid kostümiert sind – hier geht es nicht um Alpenflair, hier geht es um die universellen Fragen in einer Paarbeziehung und in der Ökonomie: Was bin ich bereit, für Wohlstand und Karriere zu opfern? Was darf ich vom Partner verlangen? Wie kann ich mit den mir zugefügten Verletzungen umgehen? Und wie kann ich die Konsequenzen ertragen, wenn die Dinge aus dem Ruder laufen? Aber vor allem: Welchen Preis kostet es uns, wenn wir mehr haben wollen?

Carolin Weber spielt den »Weibsteufel«, der mehr Opfer als Täterin ist, mit beeindruckender Eindringlichkeit. Wie ein Teigklumpen habe sie sich gefühlt, offenbart sie im Abgedunkelten ihre Gedanken. Nun sorge Hefe (nämlich die Sexualität als Treibmittel) dafür, dass sie aufgehe. Webers Frau ohne Namen ist erotisch, gerade auch weil ihr diese Erotik suspekt ist. Im doppelten Spiel aus Verführung und Betrug kann sie ihren Kopf aus der Schlinge ziehen – den ihr eigener Ehemann dort hineingesteckt hat. Roman Kurtz, mit seinem kahlen Schädel kaum wiederzuerkennen, spielt diesen Ehemann als körperlich ungeheuer präsenten Schwächling, der aber mit Schlauheit und Skrupellosigkeit sein Ziel erreichen will und seine Frau eher als Besitz denn als gleichwertige Partnerin wahrnimmt. Die von der Ehefrau zu pflegenden Zipperlein dieses Mannes stehen im Kontrast zu seinem knallharten Auftreten. Maximilian Schmidt, nicht nur in der Rolle des Grenzgängers deutlich jünger und unerfahrener als seine Mitspieler, kann angesichts der Schauspielkunst von Weber und Kurtz gut mithalten. Die forsche Fassade seines Grenzjägers bröckelt so schnell, wie solche künstlich errichteten Schutzpanzer eben aufbrechen. Ein menschliches Fiasko, das Schmidt überzeugend verkörpert.

Karola Schepp, 31.10.2014, Gießener Allgemeine Zeitung