Stimmbandakrobatik mit Witz: Neues von Schmachtigallen - Gießener Allgemeine Zeitung

20.10.2014

Aus vier mach sechs: Für ihre Neuproduktion »Im Spiel des Lebens« im Stadttheater holt sich das Gesangsquartett Verstärkung von zwei Schauspielern.


Zeit für geistreichen Genuss der leichteren Art im Musentempel: Die vier Schmachtigallen haben sich nach Jahren als reines Sangesquartett nun in ihrem siebten Stück zwei Profis aus dem Wortfach hinzugeholt. Auf der Bühne des Stadttheaters ergibt das zusätzliche Farbe für die Neuproduktion der Saison. »Im Spiel des Lebens« präsentierten sich am Samstag in wechselnden Tempi von Aktion und Musik Jan Hoffmann, Martin Ludwig, Roland Furch und Severin Geissler und mischten als Manni, Gernot, Kelle und Zocki die ineinander greifenden Szenen auf.

Die Schauspieler Marie-Louise Gutteck und Sebastian Songin bereicherten die Abfolgen zum unendlichen Thema Spiel und fungierten als Conférenciers und Mitakteure. Songin als Butler James (»Dinner for One«) oder Gutteck in Marilyn-Manier als Hollywood-Klischee-Barbie waren darin ebenso Klasse wie in der Sprache eines Lessing, Goethe, Kafka bis hin zu Albee. Man musste schon höllisch gut aufpassen, um ihre teils verfremdeten Zitate einzuordnen, die Henry Arnold – in Buch und Regie seit vier Jahren mit den Schmachtigallen-Produktionen vertraut – mit Anspielungen und Witz in ungewohnte Zusammenhänge gebracht hat.

Nimmermüd und stets hoch präsent mit Sängern und Szene verwoben: die Musiker. Hinter durchlässigem Fadenvorhang warfen Luca Panzarella (Trompete), Andreas Sommer (Klavier), Stefan Schneider (Bass, Gitarren) und Simon Zimbardo am Schlagzeug sich und den Sängern routiniert die Bälle zu – mal im Klassikbereich, mal im Swing, im Rock- oder Hispano-Latino-Rhythmus (wie kommt das »Olé!« nach Lissabon?), auch die Comedian Harmonists ließen grüßen.

Die Spielorte: das Casino, der Knast, Erotisches, Hollywood, das Fußballfeld (herrliche Parodie, aber auch beeindruckend knallhartes Konditionstraining für die Sangesvirtuosen!). Wortbetonte Intermezzi lockern die gut eineinhalb Stunden auf. Kurzweil ohne Pause: Wenn die Vier wegen undurchsichtiger Spielerfolge im Knast landen und die spielsüchtige Russin (Gutteck in prächtiger Robe; Dostojewski lässt grüßen) doch nicht anklagen wollen, steht Schumanns Lied »Ich grolle nicht« auf der Regiepartitur. Wenn das Quartett in der lila Nachtszene Ruhe braucht, ist tiefenentspannte Harmonie angesagt: Lupenrein vierstimmig arrangiert das Abendlied aus Humperdincks »Hänsel und Gretel«. Rimsky-Korsakows »Hummelflug« brachte Prestissimo, und der Türkische Marsch aus Mozarts A-Dur-Klaviersonate war ein absoluter Höhepunkt der Stimmband- und Zungenakrobatik, zumal der A-cappella-Vortrag dann in der Zugabenreihe als Gesprächsparodie die absolute Lebensnähe erreichte – da tobte das Publikum. Natürlich darf zündender Rock ’n’ Roll nicht fehlen, ebenso wenig Schmachtfetzen aus den Sechzigern und »Life is a Cabaret«. In der ultimativen Gießen-Hymne besingen die Schmachtigallen liebenswürdig-charmant (und tourismusfördernd) die Einmaligkeit unserer Stadt.

Neben ihren virtuosen Darbietungen, mal mit oder ohne Band, gibt es für jeden der vier unterschiedlichen Typen auch Soli: kernig der Bariton und »cheese« das Lächeln des tänzerisch beweglichen Martin Ludwig. Roland Furch imponierte mit männlicher Präsenz und flexibler Stimme, Arrangeur Severin Geissler mimte und sang herrlich naiv den Schüchternen, und wenn Jan Hoffmanns Tenor ins Falsett geht, erhält der Sound aparte Akzente. Dass die Sänger auch in den turbulentesten Szenen den Ton genau trafen, hieße an dieser Stelle Eulen nach Athen tragen. Thomas Döll sorgte für gelungene Bühne und Kostüme.

Das kabarettistische Spiel mit Wort und Musik imponierte nicht zuletzt mit eigenen, alltagsphilosophischen Texten und Songs rund um das Thema, hielt die Spannung zwischen Ernst und Spaß, kalkulierter Improvisation und perfekt ausgefeilter Choreografie. Die Schmachtigallen entließen mit einem optimistischen Open End ihr Publikum, das in der Premiere aufmerksam animiert und begeistert dabei war.

Olga Lappo-Danilewski, 20.10.2014, Gießener Allgemeine Zeitung