Tanzkrimi um Machtverhältnisse - Gießener Anzeiger

26.05.2015

 

Einen turbulenten Tanzabend, angesiedelt in einem zwielichtigen und kriminellen Milieu, erlebten die zahlreichen Zuschauer als Eröffnungspremiere des diesjährigen Festivals TanzArt Ostwest im ausverkauften taT. „Der Tag, an dem der Goldfisch starb“, so der Titel des Tanzkrimis von Paolo Fossa, den der italienische Choreograph in Zusammenarbeit mit sechs Tänzerinnen und Tänzern der Tanzcompagnie Gießen auf die Bühne brachte. Thurid Goertz und Bernhard Niechotz gestalteten Bühne und Kostüme, als Dramaturgin war Johanna Milz im Einsatz.

Wie in einem Gangsterfilm: dieser Eindruck stellt sich gleich mit Aufblenden der Scheinwerfer ein. Auf dem Boden sind wie in einem Tatort die Umrisse menschlicher Körper markiert, im Hintergrund stapeln sich Kartons. Wir befinden uns möglicherweise in einer Lagerhalle. Magdalena Stoyanova betritt in schwarzem Umhang die Bühne. Sie sagt über Mikrofon auch die einzelnen Nummern an. Nach dem kurzen Epilog folgt Capture 1 „Badidos“. Die Gang stellt sich vor, unverwechselbar jeder mit ganz eigener Körpersprache. Da ist zunächst Schröder alias „Steve“ (William Banks). Seine Kontrahenten sind Toni Jump (Alberto Terribile) und William the Poet (Sven Krautwurst). Zwei Ladies mischen noch mit, das sind Evil Monkee (Yuki Kobayashi) und White Snake (Caitlin-Rae Crook.)

Bewaffnet sind alle: Mit der rechten Hand simuliert jeder eine Pistole, vorerst auf ein unbekanntes Ziel gerichtet. Die Musik ist fetzig und schnell, und schnell sind auch die Schritte der Akteure, mit denen sie die Bühne durchmessen. Nicht alle gleichzeitig. Es bilden sich Gruppen, dann ist wieder jeder allein. Orientiert an der Dramaturgie eines Gangsterfilms stellt Fossa in humoristischer Form die Beziehungen innerhalb der Verbrecherbande dar. Unterschiedliche Typen stoßen aufeinander und müssen miteinander umgehen, denn schließlich wollen sie zusammen ein Ding drehen. Es geht um Machtverhältnisse, um Rituale, um die Stellung in der Gruppe. Verschiebt sich innerhalb des Netzes eines Position, müssen die anderen schnell reagieren, um das Gleichgewicht wieder herzustellen.

Tänzerisch gibt es für diese gruppendynamischen Prozesse wirkungsvolle Ausdrucksformen und Paolo Fossa ist hier ein Meister seines Fachs. Seine Technik kombiniert die Bewegungsabläufe aus verschiedenen Kampfkünsten mit Elementen aus dem Physical Theatre. So bringen die Tänzer zwei Stangen mit auf die Bühne, die gleich an asiatische Kampfkunst erinnern. Doch mit den Stangen lässt sich noch viel mehr anstellen: Sie als Turngerät nutzen, als Tanzstange in einem Table-Dance-Club, zur Jonglage oder als Barriere. Die rhythmische Musik hält viele bekannte Sounds parat. Es sind Ausschnitte zu hören von Air Cushion Finish & Lichens, Timber Timbre, Fever Ray, Friedrich Lichtenstein, Brother Dege (Aka Dege Legg), Neil Young, Antonio Sanchez, John Paul Young, Electric Electric und Perez Prado.

Bevor es zum finalen Coup kommt, werden verschiedene Szenen aus dem Gangsteralltag „eingeblendet“. Tumbleweed. Fightclub Goldfisch, The Dream, The Job, Get ready, Goldbar: Das sind die Titel der einzelnen Szenen. Toni Jump springt in riesigen Sätzen über die Bühne und wird von den anderen aufgefangen, Black Queen tätowiert Evil Monkee einen Fisch auf den Rücken, Steve und William the Poet stapeln im Hintergrund Kartons zu einer Mauer. Außerplanmäßig: White Snake stürzt im schlimmsten Getümmel mit dem Kopf auf den Boden. Glücklicherweise steht sie gleich wieder auf, es ist nichts passiert. Der Zwischenfall macht den akrobatischen Charakter der Szenen deutlich. Einmal zum Beispiel halten sich alle sechs an den Händen und bilden einen Kreis. Sie beugen sich nach außen, wenn einer loslässt, stürzen alle, sowohl im Stück als auch in Wirklichkeit.

Am Ende winken glänzende Goldbarren, doch die Freude der Gangster ist nur von kurzer Dauer, jeder schießt auf jeden, im Stück verdeutlicht durch das Platzen von Luftballons. Übrig bleibt die schwarze Queen, der Epilog verweist auf den Prolog: die Umrisse von fünf menschlichen Körpern auf dem Boden.

Bei dem begeisterten Applaus inklusive Pfeifkonzert sind alle schnell wieder auf den Beinen. Ein kämpferisch krimineller Tanzabend mit Augenzwinkern, der die Tanzcompagnie einmal von einer ganz anderen Seite zeigte.

Ursula Hahn-Grimm, 23.05.2015, Gießener Anzeiger