Wüten archaischer Urkräfte: Wolfram J. Starcewskis inszeniert Schönherrs „Weibsteufel“ - Gießener Anzeiger

03.11.2014

„Die Mannsbilder sind ja so dumm; man könnt damit Türen einrennen.“ Was hier spaßig nach Frauenkabarett oder „Ladykracher“ klingt, ist auf der taT-Studiobühne des Stadttheaters eine todernste Angelegenheit. In dem vor genau hundert Jahren entstandenen Drei-Personen-Stück „Weibsteufel“ des österreichischen Dramatikers Karl Schönherr (1867 bis 1943) gibt es nämlich nichts zu lachen. In wuchtigen, holzschnittartigen Szenen wird der Zuschauer zum Zeugen eines leidenschaftlichen, unerbittlich geführten Machtkampfes zwischen zwei Männern und einer Frau – mit tödlichem Ende. Regisseur Wolfram J. Starcewski und drei vorzügliche Darsteller machen daraus einen eindringlichen, unter die Haut gehenden Theaterabend, der das Publikum gefangen nimmt. In den gut anderthalb Stunden hört man aus den Besucherreihen keinen Mucks.

Bei der Premiere am Donnerstagabend gab es am Ende lang anhaltenden Applaus für die herausragenden Leistungen. Nach „Erklärt Pereira“, der Eröffnungspremiere im taT, steht nun mit dem „Weibsteufel“ erneut ein vor innerer Spannung knisterndes Kammerspiel auf dem Spielplan, in dem die Schauspieler in der intimen Nähe zum Publikum agieren und es damit direkt ins Geschehen hineinziehen. Diesmal herrscht eine düstere, beklemmende Atmosphäre.

Ein Mann und eine Frau leben in einer Hütte hoch oben in den Tiroler Bergen. Unter dem Lebensmotto „Schlau muss man sein“ verdingt sich der Mann als Hehler von Schmuggelware und träumt vom sozialen Aufstieg und einem Haus am Marktplatz in der Stadt. Die Ehe ist kinderlos, und so bemuttert die Frau ihren Mann wie ein Kind. Als ein junger Grenzjäger auf das Paar angesetzt wird, drängt der Mann seine Frau dazu, den Grenzer zu umgarnen, um von seinem kriminellen Tun abzulenken. Aus der kalkulierten Verführung entsteht eine verhängnisvolle Dreiecksbeziehung, in der jeder jeden benutzt und alle einander gegenseitig ausspielen.

Mit der unbarmherzigen Präzision eines Uhrwerks läuft das dramatische Geschehen ab bis zur Bluttat. In geschickter Personenführung, die das Auf und Ab des mal subtil und versteckt, mal offen und gewalttätig geführten Kampfes unterstreicht, zeigt die Inszenierung das Wüten archaischer Urkräfte zwischen Mann und Weib, wobei Starcewski großen Wert auf die psychologische Feinzeichnung der Figuren legt. In fast jeder Szene schwingt unterschwellige Erotik mit.

Das Bühnenbild von Lukas Noll räumt radikal mit jeglicher Berghof-Idylle auf. Lediglich die Assoziation „hoch oben“ hat bei dem quadratischen, hohen Podest Pate gestanden, das mitten im Raum steht und an allen vier Seiten von Zuschauerreihen umsäumt wird. Man könnte auch sagen: Die Schauspieler steigen zum Kampf in den Ring. Einziger Gegenstand ist eine weiße Truhe, darüber eine niedrige Decke mit einer nackten Leuchtröhre.

In dieser kalten Umgebung zeigt uns Carolin Weber eine Frau, die zum Spielball der Männer wird und selber mit den Männern spielt. Üblicherweise könnte man bei ihrer Figur auf der Theaterbühne von einer „femme fatale“ sprechen, aber zu Schönherrs Zeiten in Tirol hieß es eben „Weibsteufel“. Nuancenreich und mit großer emotionaler Hingabe lässt Carolin Weber die Wandlung von der biederen, ein wenig ängstlichen und unsicheren Ehefrau zum kühl kalkulierenden, alle moralischen Bedenken außer Acht lassenden „Weibsteufel“ glaubhaft werden. Wie sie sich anfangs wie ein ausgelegter Köder vorkommt, wie sie vor innerer Erregung leise bebt, wie sie den jungen Grenzjäger mit lasziven Gebärden provoziert und wie sich schließlich von allem befreit, das führt die Darstellerin mit großer Klasse vor.

Auch Roman Kurtz zeichnet seine Figur mit feinen Strichen. Bei Schönherr wird der Mann als kränklicher Typ geschildert, doch in Stiefeln, mit Hosenträgern überm Unterhemd, mit Halstuch und modischer Glatze verkörpert Kurtz eher einen vitalen, kraftstrotzenden Hehler, der seine diversen Leiden nur listig simuliert, um von seiner Frau bemuttert zu werden. Eigentlich hat er nur seine Schmuggelgeschäfte im Kopf.

Den Grenzjäger spielt Maximilian Schmidt als feschen Naturburschen in Uniform, der im weiteren Verlauf immer zersauster ausschaut, je tiefer er sich in die erotische Umgarnung des „Weibsteufels“ verstrickt. Dass der schlichte, junge, unerfahrene Mann nicht nur äußerlich, sondern auch seelisch immer weiter verwildert, macht Schmidt sehr schön deutlich.

Von Thomas Schmitz-Albohn, 02.11.2014, Gießener Anzeiger