Astrid Jacob macht aus Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“ 80-minütigen Theaterabend - Gießener Anzeiger

02.03.2015

Nicht wundern: Eigentlich ist „Michael Kohlhaas“ natürlich eine von Heinrich von Kleists großen Erzählungen, also Prosa. Doch seit Donnerstag ist das 1810 veröffentlichte Werk in einer dramatisierten Version von Astrid Jacob im taT zu sehen. Und am Ende gab es reichlich Applaus für die kurzweilige Inszenierung, die aus des Dichters Novelle 80 pausenlose Theaterminuten macht.

Suche nach Gerechtigkeit

Anders gesagt: Kleists Geschichte um den Rosshändler Kohlhaas, dem der Junker Wenzel von Tronka einige Pferde abspenstig macht und der auf der Suche nach Gerechtigkeit am Ende den ganzen Staat gegen sich hat, kommt als solide gemachtes Kammerspiel daher. Die Bühnenoptik von Bernhard Niechotz, der auch für die Kostüme verantwortlich zeichnet, ist rudimentär zu nennen. In der Mitte steht ein großes Metallpodest, das es den Schauspielern mit seinen Stufen ermöglicht, unterschiedliche Situationen in der räumlichen Positionierung zu differenzieren. Dazu kommen die im Grundton überwiegend schlicht weißen Kostüme, im Bedarfsfall um Versatzstücke wie einen Offiziersmantel ergänzt – viel mehr Bühnenoptik ist nicht.

Und das ist auch gut so, denn Regisseurin Jacob will vor allem die Geschichte erzählen, weshalb es gilt, den Schauspielern den dazu notwendigen Raum zu lassen. Jacob tut das und wird dafür belohnt.

Fanatisch

In erster Linie von Pascal Thomas, der einen finsteren Michael Kohlhaas gibt. Thomas gelingt es, den Verdruss und die Radikalität der beklauten und am Ende fanatisch nach Gerechtigkeit strebenden Hauptfigur glaubhaft auf die Bühne zu bringen. Daneben sind Sebastian Songin, Harald Pfeiffer und Anne Berg im taT in wechselnden Rollen zu sehen. Sie alle machen ihre Sache gut, so dass der Applaus am Ende ganz sicher hoch verdient war. Doch eine Frage bleibt im Raum: Warum eine Erzählung dramatisieren? Kleist hat ja bekanntlich auch eine ganze Batterie von Theaterstücken verfasst. Der große Haken ist nämlich, dass durch den Gattungswechsel viel von der Tiefe des Prosatextes verloren gehen muss. Denn fast zwangsläufig ist der Text auf der Bühne auf eine kongruente Lesart festzulegen, in diesem Fall wesentlich auf die Konfrontation des Einzelnen mit dem Staatsapparat. Kleist-Freunde wissen jedoch, dass der „Kohlhaas“ in seiner Prosaform noch weit mehr interpretatorische Zugänge eröffnet, die auf der Bühne bestenfalls anklingen können. Das ist das dicke Minus der Dramatisierung.

Das Plus hingegen, dass in dieser Form ein etwas sperriger Text vom Beginn des 19. Jahrhunderts, der heute vermutlich nicht mehr breiteste Leserschichten hinterm Ofen hervorlockt, gut zugänglich gemacht und der Weg hin zu Kleists eigentlichem Werk geebnet wird. Anders gesagt: Alle die, die sich mit dem kanonischen Schriftsteller bislang eher weniger befasst haben, finden hier einen geeigneten ersten Zugang.

Weit weg

Eindeutige Zweifel sind allerdings hinsichtlich des Gedankens, mit dieser Inszenierung auch Jugendliche ansprechen und in ihrer Erlebniswelt abholen zu wollen, angebracht. Denn dafür sind Geschichte und Inszenierung trotz sprachlicher Modernisierung viel zu weit weg vom Teenager. Erwachsene Theaterfreunde sollten die Gelegenheit jedoch nutzen und zu einer der nächsten Aufführungen am 5. und 22. März oder 18. April um 20 Uhr im taT gehen.

Stephan Scholz, 28.02.2015, Gießener Anzeiger