Des Herrschers wahre Größe - Gießener Allgemeine Zeitung

07.12.2015

Vitellia will Kaiser Tito heiraten. Doch dessen Herz gehört einer anderen. Schon hegt die Streitbare finale Rachegedanken. Wird sie Tito töten? Mozart liefert im Stadttheater in seiner letzten Oper die Antwort.

 

Er grübelt, hadert, zweifelt. Doch am Ende siegt das Gute, Edle, Reine. Tito ist ein römischer Kaiser mit Vorbildfunktion. Er vergibt allen Missetätern ihre Schuld. Tito, der Gönner und Verzeiher, der wahre Größe zeigt. In der Oper »La clemenza di Tito« (Die Milde des Tito) hat Mozart diesem Monarchen ein musikalisches Denkmal gesetzt. Davon konnten sich am Samstagabend die Besucher des Stadttheaters bei der Premiere der konzertanten Aufführung ein Bild machen. Langer Applaus und Jubel waren der Lohn für das in der Fachliteratur oft als Gelegenheitsarbeit bezeichnete Werk, das Mozart 1791 kurz vor seinem Tod in wenigen Wochen als letztes Bühnenstück niederschrieb.

»La clemenza di Tito« ist eine Festoper, beim Komponisten für einen denkwürdigen Anlass in Auftrag gegeben: Kaiser Leopold II. sollte in Prag zum König von Böhmen gekrönt werden. Dafür musste eine ernste Partitur her mit wirkungsvollen Arien, Duetten, Ensembles und zwei grandiosen Finali am Schluss der beiden Akte. So sollte dem Blaublütigen gehuldigt werden. Doch der Uraufführung im September 1791 war nur mäßiger Erfolg beschieden. Erst im Laufe der Zeit gelang »La clemenza di Tito« der Sprung ins Repertoireprogramm.

Mozarts Tito freilich hat es nie gegeben. Das reale Vorbild, Titus Flavius Vespasianus, war im ersten Jahrhundert nach Christus keinesfalls der Edelmut in Person. Er hat die Belagerung Jerusalems und die Zerstörung des Tempels mitsamt unzähligen Toten zu verantworten.

Musikalisch ist die Oper mit ihren 26 Nummern ein echter Mozart. Die vom Cembalo untermalten Secco-Rezitative steuerte sein Schüler Franz Xaver Süßmayr bei. Cembalo-Allergiker, die dem flirrenden Sound des Tasteninstruments nichts abgewinnen können, werden von den lautmalerischen Klängen des Philharmonischen Orchesters Gießen mehr als entschädigt. Unter dem Dirigat von Generalmusikdirektor Michael Hofstetter gelingt den Musikern eine dichte, konzentrierte und in allen Belangen musikantische Umsetzung des Materials. Klarinettistin Anna Deyhle spielt das anspruchsvolle Solo in der Sesto-Arie »Parto ma tu ben mio« mit Elan. Dieses Kunststück gelingt Thomas Orthaber auf dem Bassetthorn in Vitellias Arie »Non più di fiori« ebenfalls.

Auch für die Sänger hat Mozart schwierige Partien notiert. Francesca Lombardi Mazzulli (Vitellia) glänzt am Stadttheater neuerlich in einer Paraderolle. Leicht kantig in den Koloraturen, drängt ihr glockenklarer Sopran alle anderen in den Hintergrund.

 

Nathalie Mittelbach in der Hosenrolle des Sesto intoniert voller Inbrunst. Frank van Hove (Publio) verfügt über einen Bass wie aus dem Lehrbuch. Der erfahrene Mozart-Sänger Bernhard Berchtold (Tito) kann da nicht ganz mithalten. Zu verhalten und lyrisch wirkt sein Tenor. Der Chor des Stadttheaters zeigt sich wie immer gut disponiert (Einstudierung: Jan Hoffmann).

Naroa Intxausti (Servilia) liefert eine transparente Interpretation ihrer Partie ab, voller Intensität. Gemeinsam mit Marie Seidler (Annio, die zweite Hosenrolle) präsentiert sie im ersten Akt das eindringlichste Duett des Abends. Engelsgleich verbinden sich beide Stimmen zu einem unendlich zarten Melodienfluss. Eine Mezzosopranistin wie Seidler wäre als Ensemblemitglied am Stadttheater die perfekte Ergänzung für Sopranistin Intxausti. Zumal die junge Seidler mit diesem Mozart nach dem geglückten Einstand im September als Olga in Tschaikowskys »Eugen Onegin« in Gießen nun schon ihre zweite Rolle mit Bravour meistert.

 

Manfred Merz, 07.12.2015, Gießener Allgemeine Zeitung