Es menschelt im Reich der Mitte -Wetzlarer Neue Zeitung

14.03.2016

Marek F. ist ein Professor mit Hang zur Phantasterei. Eigentlich ein unspektakuläres Leben, gäbe es da nicht die schroffen Klippen des Zwischenmenschlichen. Um diesen Marek hat Ulrike Syha ihr Theaterstück "Mao und Ich" gestaltet.

 

Samstag feierte das Schauspiel in einer Inszenierung von Dirk Schulz am Stadttheater Gießen Premiere. Am Ende gab es kräftigen, allerdings keinesfalls überschwänglichen Beifall. Das könnte ein Hinweis darauf gewesen sein, dass der Abend im Großen Haus zwar viel Licht, aber auch seine Schattenseite hatte. Der Reihe nach und angefangen beim Haben, das deutlich überwiegt. Schulz setzt in erster Linie auf sein Personal, um die Geschichte von Marek F., der mit seiner auf ewig unerfüllten Liebe Ruth P. zu einer Konferenz nach Zentralchina fliegt, auf die Bühne zu bringen. Im Reich der Mitte angekommen, treffen die beiden auf Mareks Stiefvater Lars M., zu dem der Sprössling kein gutes Verhältnis hat. Es menschelt sehr auf der Bühne, auch dank Ruths geheimnisumwitterten Ehemannes, des China-Kontaktmannes Wetterstein und einer IT-Managerin. Genau darum geht es im Grunde: die Verhältnisse zwischen den Figuren herauszuarbeiten, wozu der Regisseur den Schauspielern viel Raum lässt. Gut so! Kommentiert wird das Geschehen von zwei Erzählern aus dem Off. Dadurch entsteht eine zweite Ebene, die das Dargestellte teils kommentiert, teils karikiert, aber auch als eine Filmhandlung kenntlich macht. Der Effekt ist famos, denn das Filmische, das etwa durch einen per Drehbühne umgesetzten Fokus realisiert wird, wird zur Metapher. Kurz, Schulz gelingt es gekonnt, den Fokus auf Oberflächlichkeiten und Untiefen des zwischenmenschlichen Alltags zu schieben. Das ist witzig, tiefgründiger als man vielleicht beim ersten Hören glaubt und sehr angemessen. Etwas Tempo täte der Sache gut. Nun zum großen Haken: Dieser Fokus auf das menschliche Miteinander basiert vor allem auf viel Sprache und wenig gegenständlicher Handlung. Das allein wäre noch nicht schlimm, doch dem Ganzen fehlt ein wenig der Zug. Die Schauspieler zeigten sich am Premierenabend von ihrer Schokoladenseite. Allen voran Carolin Weber, die ihre Ruth schafft. Witzig, hartnäckig und authentisch spielt sich Weber sehenswert durch den Abend. An ihrer Seite macht auch Gastschauspieler Oliver Jaksch als Marek eine gute Figur, indem es ihm gelingt, dem Phantasten menschliche Tiefe zu geben. Auch Roman Kurtz überzeugt als Draufgänger Lars, Milan Pešl, Christian Fries und Beatrice Boca sind in wechselnden Rollen ebenfalls in Form.
Kurzum, eine gelungene Inszenierung, die richtig gut würde, wenn ein wenig Tempo in die Sache kommt.

 

Stephan Scholz, 19.01.2016, Wetzlarer Neue Zeitung