Flucht vor der hektischen Familienwelt - Wetzlarer Neue Zeitung

23.11.2015

"Ich bin gegangen. Es hat mir nicht gefallen", schreibt Moritz auf einen Zettel. Doch dies betrifft nur seine leistungsorientierte Umwelt.

Die Premierenzuschauer bleiben die 75 Minuten mucksmäuschenstill oder kommentieren unisono das Verhalten der Figuren. Das als Familienstück von Christa Kozik und Rolf Losansky für ein Publikum ab 6 Jahren angebotene Spiel des Stadttheaters lebt von der Phantasie des Titelhelden und dem Einfallsreichtum von Bühnenbildner Luka Noll und Kostümbildner Bernhard Niechotz. Sie haben auf der Drehbühne eine märchenhafte Stadtlandschaft entworfen und mit der Litfaßsäule den Dreh- und Angelpunkt gebaut. Hierhinein flieht Moritz (in der ersten Vorstellung Pascal Thomas als quirliger Junge, der den elterlichen und schulischen Zwängen entflieht). Es entwickelt sich eine Reise durch Träume, Wünsche, Gefahren, die aus dem aufmüpfigen Moritz einen reiferen jungen Mann machen.

Regisseur Andreas Mihan, ehemaliger Student der Angewandten Theaterwissenschaft an der Uni, hat am Stadttheater schon gute Arbeit geleistet, zuletzt mit "Fratzenfisch". Es wird bei ihm lebendiges, poesievolles Theater, ohne dass die Erwachsenenwelt zur Karikatur eingedampft ist.
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Lukas Goldbach als Straßenfeger und Clown kann sein Publikum überzeugend zum Hinhören motivieren und die Handlung vorantreiben. Katze Kicki (Carolyn Weber) und Zirkusmädchen Bella (Anne-Elise Minetti) finden die ungeteilte Sympathie der Zuschauer ("ich fand die Katze total geil"), weil hier die Wunschwelt des unglücklichen Moritz in schönen Farben dargestellt ist. Der Schluss mit Versöhnung mit den Erwachsenen ist recht plötzlich, doch es klingt durch, dass auch Erwachsene lernfähig sein können. Termine: stadttheater-giessen.de

Peter Merck, 23.11.2015, Wetzlarer Neue Zeitung