Inspirierende Premiere von »Shakespeare is dead – get over it« im taT - Gießener Allgemeine Zeitung

25.01.2016

Der belgische Autor Paul Pourveur will im Theater eine neue Beziehung zum Zuschauer schaffen. Sein Ziel ist ein Verhältnis, bei dem das Publikum gleichzeitig in der Geschichte sein kann und außerhalb. Wie das aussehen kann, das zeigt die Inszenierung auf der taT-Studiobühne: »Shakespeare is dead – get over it«.

 

 Schimanski und Walker inszenieren erstmals in Gießen und nutzen für hiesige Gepflogenheiten eher ungewöhnliche Stilmittel. So ergänzen elektronische Musik und verzerrte Kommentare das Spiel der Schauspieler. Als sound operator und additional voice kommuniziert Stefan Herfurth aus den Zuschauerreihen heraus mit den Schauspielern. Und die radikal reduzierte Bühne mit kaum mehr als einer weißen Tribüne darauf bietet die Plattform für die sprunghafte Jagd der Akteure quer durch die Jahrhunderte. »Wer kein historisches Wissen hat, bleibt besser zu Hause«, warnt Schauspielerin Anne Elise Minetti die Zuschauer. Da ist was dran. Doch wer sich auf das Experiment einlässt, kann ganz in Pourveurs Sinn von seinem Theaterstuhl aus kurzweilige 100 Minuten lang in die Geschichten eintauchen.

»Shakespeare is dead« – get over it« ist eine liebevoll-ironische Würdigung des großen William Shakespeare. Doch hier gibt es gleich zwei Williams – den berühmten historischen Barden und den heutigen Globalisierungsgegner, der trotzdem beim Modelabel »GAP« seine Brötchen verdient. Auch Shakespeares Ehefrau Anne taucht im Heute auf, ist hier die Schauspielerin und Shakespeare-Verehrerin Anne, die sich auch von ausufernden Königsdramen ihre Begeisterung nicht vermiesen lässt. Shakespeares Figuren sind eben zeitlos und er selbst zugleich tot und lebendig. Doch wie in seinen Dramen beschrieben, so ist auch die Liebe der heutigen Anne und ihres William nicht ungetrübt. Auch in ihren Herzen wächst der Stachel der gegenseitigen Verachtung heran, gibt es Missverständnisse und am Ende den Tod – auch wenn der Anne in einem schrottreifen 1991er-Golf ereilt. Aber schließlich mussten schon Romeo und Julia ihre Liebe mit dem Leben bezahlen. Bei Pourveur hat an dieser fatalen Entwicklung auch Regisseur Jean-Luc Godard seinen Anteil, dessen Filmzitate sich wie ein roter Faden durch das Stück ziehen. Ebenso wie die Anspielungen auf das, was wir aus Shakespeares Biografie kennen – oder zu kennen glauben.

Das Schauspieltrio mit Anne-Elise Minetti als Anne, Pascal Thomas als William und Petra Soltau als eine Art kommentierendes Gewissen und Erzählerin im Reifrockgestell geleitet die Zuschauer mit Leichtigkeit und Spielfreude durch die Jahrhunderte und die Erzählstränge. Beeindruckend wird es vor allem dann, wenn die drei auf offener Bühne aus ihren Rollen ausbrechen und sich als Menschen hinter den Theaterfiguren offenbaren. Im normalen Plauderton kommentieren sie Shakespeares Wirkung und spekulieren, was er wohl heute tun würde. Und spätestens dann sind die Zuschauer als stummer Teilnehmer des Gesprächs mitten drin in dieser Geschichte.

 

Karola Schepp, 25.01.2016, Gießener Allgemeine Zeitung