LEONCE UND LENA als modernes Hipster-Pärchen - Gießener Allgemeine Zeitung

24.04.2016

Valerio ist sich sicher: Auch der Theaterabogänger ist ein »raffinierter Müßiggänger«. Und dass er dabei jede Menge Spaß haben kann, dafür sorgt Malte C. Lachmann in seiner Inszenierung von Georg Büchners »Leonce und Lena« – einem Lustspiel über die Auswüchse des Müßiggangs.

Ein Theaterstück aus dem Jahr 1836 rigoros in die Jetztzeit zu transponieren – das ist eine Herausforderung und geht so manches Mal schief. Doch wenn Regisseur Malte C. Lachmann das in die Hand nimmt und sich noch dazu mit »Leonce und Lena« von Georg Büchner ein Lustspiel vornimmt, das ohnehin schon bei seiner Entstehung »aus der Zeit gefallen« war, dann erwächst daraus ein überaus vergnüglicher Theaterabend. So jedenfalls war es am Samstag im Großen Haus des Stadttheaters zu erleben.

Bei Lachmann wird aus dem gelangweilten Prinzen Leonce, der nicht mit Prinzessin Lena zwangsverheiratet werden will, ein um sich selbst kreisender und an seiner Langeweile verzweifelnder Hipster. Maximilian Schmidt verkörpert diesen vom Nichtstun Erschöpften mit köstlichem Witz. Er ist der politikmüde und bindungsunwillige »Neo-Spieser«, dem die eigene Lifestyle-Inszenierung über das Wohl der Gemeinschaft geht, und der auch dann ein Selfie macht, wenn er sich von seiner Liebschaft (Mirjam Sommer) trennt. Was bei Büchner Satire auf höfische Ideale und Kritik am Adel war, wird so zur Parodie auf die moderne übersättigte Wohlstandsgesellschaft, in der viele nur noch mit sich selbst beschäftigt sind – auf die Spitze getrieben im Hipstertum.

Bühnen- und Kostümbildner Lukas Noll stattet die Bühne mit den szeneüblichen Insignien aus. Eine riesige Comicsprechblase mit inhaltsleerem »Blablabla«, der Cocktailsessel in Retrooptik als Thronersatz, die stylischen Klamotten, der obligatorische Jutebeutel, Vollbart und Männerdutt – alles ist in all seiner Lächerlichkeit vorhanden. Und natürlich kommen auch Smartphone und Tablet immer wieder zum Einsatz. Und selbst der Wald, in dem sich bei Büchner Leonce und Lena zufällig begegnen und verlieben, wird zu einem Park aus Windrädern. Wenn Lena (von Anne-Elise Minetti überzeugend als geistlose Schönheit verkörpert) dort im Schlauchboot romantischer Naturschwärmerei verfällt, wird es bizarr.

Sogar die von Lachmann eingebauten aktuellen Musik-, Film- und Werbezitate sind eine sinnvolle und attraktive Ergänzung. So wird der trottelige König Peter mit grellem Anzug und »supergeil«-Attitüde zum Edeka-Werbestar – von Roman Kurtz gnadenlos auf die Spitze getrieben. Büchner selbst hatte Elemente aus Shakespeare-Dialogen, der Commedia dell’Arte und die Schwärmerei der Romantiker in seinem Stück zitiert, Lachmann bedient sich bei aktuellem Alltagskulturgut. Wer hätte gedacht, dass die Filmmusik von »Mission impossible« so gut passt, wenn der smarte Schlendrian Valerio einen Plan ausheckt, um Leonce und Lena als angeblich perfekte Mensch-Automaten (mit Biosiegel) maskiert doch noch Hochzeit feiern zu lassen. Und auch der eben erst verstorbene Musiker Prince wird an diesem Abend gleich mehrfach zu Ehren kommen.

Maximilian Schmidt als Leonce und Lukas Goldbach als Valerio spielen sich die Bälle zu, dass es eine Freude ist. »Bei Büchner!« will man anerkennend rufen, wenn Schmidt schon allein aus dem monotonen Spucken auf einen Stein ein Ereignis macht. Und Goldbach gewinnt mit seiner schnodderigen Lässigkeit als faules Cleverle Valerio alle Sympathien für sich – auch ohne, dass er am Ende als frisch gekürter Minister das Arbeiten unter Strafe stellt.

Ein wenig bleibt Büchners untergemogelte Kritik an den damaligen politischen Verhältnissen auf der Strecke. Aber die Klassenunterschiede des 19. Jahrhunderts lassen sich eben nicht mehr ohne Weiteres ins Heute übertragen. Da werden dann eben aus den vom stocksteifen Staatsrath (Pascal Thomas) zum Hochzeitsjubel verdonnerten Bauern moderne Anzugträger mit aufgeklebtem Lächeln und aus verantwortungslosen Prinzen und Prinzessinnen oberflächliche Hipster – und schon passt’s wieder mit dem raffinierten Müßiggang für die Theaterbesucher.

 

 

Karola Schepp, 25.04.2016, Gießener Allgemeine Zeitung