Neuer Tanzabend »Penelope wartet« -Gießener Allgemeine Zeitung

23.02.2016

Die Musik pulsiert und brodelt. Die Muskeln der Tänzer sind zum Bersten gespannt. Unheil liegt in der Luft. In Tarek Assams neuem Tanzabend »Penelope wartet« spielt der Tod eine entscheidende Rolle. Odysseus, der alte Haudegen, hat das Kommen sehen.

Zehn Jahre hat er gedauert: Nach dem trojanischen Krieg kehren die Soldaten siegreich nach Ithaka zurück. Sie steigen dazu im Großen Saal des Stadttheaters von hinten über die dicht besetzten Besucherreihen des Parketts nach vorn, ehe ihnen auf der Bühne ihre Frauen sehnsüchtig um den Hals fallen. Das kann sich sehen lassen. Nur König Odysseus fehlt. Er irrt weitere zehn Jahre heldentatengeplagt umher, bis auch er endlich nach Hause findet. Dort wartet auf ihn noch immer Penelope, sein treues Weib. Doch sie erkennt ihn anfangs nicht.

Ballettdirektor Tarek Assam hat Homers gut 2700 Jahre alte »Odyssee« abstrahiert und einen Perspektivwechsel vorgenommen. Assam erzählt in seinem neuen Tanzabend »Penelope wartet« die Geschichte aus der Sicht der Gattin. Das Publikum bejubelte die Uraufführung am Samstagabend mit Standing Ovations.

Ungeduldig hält Penelope immer wieder Ausschau nach ihrem Mann. Und erwehrt sich vor der Kulisse alter Statuen der Marke Herkules und Athene (Bühnenbild: Fred Pommerehn) zahlreicher Verehrer, die ihr den Hof machen, um als ihr Gemahl König von Ithaka zu werden. Doch nichts ist hier in Stein gemeißelt. Die Listenreiche hält die Drängenden hin, indem sie vorgibt, erst das Grabtuch ihres Schwiegervaters Laertes fertigstellen zu müssen, ehe sie sich einen Freier erwählt. Nachts trennt sie das tagsüber Gewebte wieder auf.

Es sind die kleinen Szenen, die Assams Tanzabend ausmachen. Mit feiner Hand hat der Ballettdirektor seinerseits ein Stück gewoben, das voller Sorgen und Sehnsüchte steckt, dem Drama Raum gibt und am Ende in einem angedeuteten Massenmord kulminiert, wenn Odysseus allen Widersachern das Licht ausbläst.

Magdalena Stoyanova gibt eine stolze, tapfere Penelope. Die erfahrene Tänzerin meistert die Titelpartie mit Anmut und Power. Odysseus (Francesco Mariottini) ist ein veritabler Partner, der mit einem trojanischen Pferd im Spielzeugformat die Szenerie betritt, aber nicht verhindern kann, dass ihm der impulsive Sven Krautwurst als Hund (die beste Szene des Stücks!), Bettler und Eurykleia ein ums andere Mal die Schau stiehlt. Das Ensemble in den raffinierten Kostümen von Gabriele Kortmann agiert intensiv, jedoch in manchen Szenen verhalten, was dem Sujet geschuldet sein mag.

Der in Bann ziehende Tanz ist an diesem Abend nur die halbe Miete. Die andere Hälfte besorgt die Musik. Das bestens aufgelegte Philharmonische Orchester Gießen wartet im Graben unter dem Dirigat seines Generalmusikdirektors Michael Hofstetter mit Werken von John Psathas auf. Der neuseeländische Komponist griechischer Abstammung hat Assam zahlreiche Stücke zur Verfügung gestellt. Zwölf davon wählte der Ballettdirektor aus.

Herbert Gietzen, ehemaliger Generalmusikdirektor des Hauses, hat die Partituren in Abstimmung mit dem Komponisten neu arrangiert. Ergebnis ist ein faszinierender Sound voller treibender, pulsierender Rhythmen. Wenn Joachim Michelmann am Ende auf der Bühne zum Paukensolo ansetzt und als Sensenmann mit seinen über fünf Kesselpauken wirbelnden Schlägeln den Freiern Penelopes auch akustisch den Garaus macht, ist der musikalische Höhepunkt erreicht. Und Odysseus erkennt: Penelope gehört zu mir wie mein Schatten. Die beiden ziehen von dannen, das trojanische Spielzeugpferd im Schlepptau.

 

Manfred Merz, 23.02.2016, Gießener Allgemeine Zeitung