„Nie mehr lieben“ im taT-Studio - Gießener Anzeiger

27.02.2016

Die Liebe ist die Quelle allen Übels. Nach einer kurzen Phase des Glücks versickert sie zunächst in einem langweiligen Paaralltag. Nach ein paar Wochen, Monaten oder Jahren mündet das Liebesabenteuer dann im Singledasein. Von der Liebe sind nur Narben geblieben und die große Gefahr besteht darin, dass man sich erneut verlieben könnte. Dagegen gibt es aber endlich eine Therapie.

„Das wird schon. Nie mehr lieben!“ lautet das Therapieangebot der Bestsellerautorin und Dramatikerin Sibylle Berg. In der Gießener taT-Studiobühne hatte die bitterböse Komödie über ein Tabuthema Premiere. 150 Zuschauer erlebten ein ambitioniertes Ensemble, das die Problematik der Einsamkeit in den Wechseljahren und der modernen Therapiegesellschaft aufs Korn nahm.

Es ist die Zeit „zwischen den Jahren“, also Weihnachten und Silvester, die der ansonsten angenehm lebenden Singlefrau ihre Einsamkeit schmerzhaft spürbar macht. Dagegen ist zwar kein Kraut gewachsen, aber eine Therapie. Ein selbst ernannter Guru, als Universalmann in Szene gesetzt von Maximilian Schmidt, hat die Marktlücke erkannt und bietet an Silvester einen Kurs an.

Dem smarten Therapeuten steht mit Petra Soltau ein wunderbares Klageweib zur Seite, das philosophierend assistiert und gelegentlich ein Tourette-Syndrom vortäuscht, um drastisch zu kommentieren. Zur Therapie sind zwei Frauen erschienen. Als Frau I agiert Carolin Weber, als Frau II Beatrice Boca.

Der Seminarleiter verspricht einen Kurs, der die Teilnehmerinnen von ihrem Bedürfnis nach Liebe und Verlieben befreien soll. Eine Stunde lang begleitet Maximilian Schmidt die zwei Frauen lässig, gelangweilt und amüsiert durch die glücklichen Momente ihres Lebens. Die Kursteilnehmerinnen wandeln durch die imaginären Räume ihrer Erlebnisse und holen so das Grauen ihrer früheren Beziehungen wieder ans Licht. Schmidt spielt das jeweilige Subjekt und ist ein ebenso überzeugender Hardrocker mit Hang zu Drogen wie ein erfolgloser Künstler, dem Frau I nach dem Ende der Beziehung auch noch Unterhalt zahlen muss.

Mit Inbrunst spielen Carolin Weber und Beatrice Boca die optimistischen Frauen, die sich immer wieder in das Abenteuer der Liebe stürzen und dabei an alle denkbaren Männerklischees geraten. Da ist der hoch gebildete Kleinverleger, der es nur mit einem kleinen Dummchen aushält, das Beatrice Boca ihm bereitwillig vorspielt. Und da ist der geheimnisvolle Schweiger, der zu Recht fürchtet, dass Carolin Weber die geistige Öde hinter der Schweigewand entdecken könnte. Nach einem Urlaub, in dem der Schweiger sein Schweigen bricht, wird er folgerichtig verlassen.

Inszeniert wurde das bitter-heitere Spiel von Isabella Roumiantsev im Rahmen der Hessischen Theaterakademie. Die Regisseurin studiert Regie an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt. Das raffinierte Bühnenbild, in dem die Erinnerungsräume mit schlichten aber wirksamen Mitteln visualisiert werden, schuf Carla-Luisa Reuter, die an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach Kostüm- und Bühnenbild studiert.

Sibylle Bergs Stück ist ein Sammelsurium von Geschichten aus Paarbeziehungen, die eigentlich jeder kennt, garniert mit mehr oder weniger zynischen Kommentaren, die zumeist von Petra Soltau gekonnt aus dem Hintergrund beigesteuert werden. Als Beatrice Boca am Ende feststellt: „Ich fühle mich so gut! So leer!“ und der Guru endlich losziehen kann, um ein Bierchen zu trinken, ist das Publikum zwar nicht um tiefschürfende Erkenntnisse reicher geworden, hat sich aber einen Abend lang gut unterhalten. Im Schlussbeifall der Zuschauer drückte sich Begeisterung aus.


Klaus J. Frahm, 27.02.2016, Gießener Anzeiger