Premiere: „Rose und Walsh“ im taT - Gießener Anzeiger

21.09.2015

Ursprünglich standen die „Sonny Boys“ auf dem Spielplan des Stadttheaters, müssen allerdings krankheitsbedingt verschoben werden. Wer nun aber glaubt, die szenische Lesung „Rose und Walsh“, die stattdessen am Samstagabend im taT Premiere hatte, sei bloß ein Lückenfüller, der irrt sehr. Zu erleben war stattdessen eine literarische Darbietung auf beachtlichem Niveau, die gerade wegen der bemerkenswerten Leistung des Ensembles richtig Laune macht.

Nun ist das ja mal grundsätzlich so eine Sache, auf der Theaterbühne Lesungen zu veranstalten. Denn das Format zeichnet sich für gewöhnlich durch ein hohes Maß an Statik aus, das mit der Bühne eigentlich nicht so gut zusammengeht. Nicht so bei dieser Darbietung, die zwar auch nicht auf großen Ausstattungsschnickschnack oder übermäßig viel Bewegung setzt. Das Bühnenbild besteht im Grunde genommen nur aus einer Reihe von Hockern, die im Raum verteilt sind und auf denen die Schauspieler je nach Bedarf der Szene Platz nehmen. Dennoch gelingt es durch die Anordnung der Hocker, den eingestellten Winkel der Drehstühle und damit mit ganz einfachen Mitteln, die einzelnen Ebenen der Erzählstruktur als Raumstruktur zu übersetzen und den Ebenenwechsel als Bewegung des Personals zu realisieren. Nix ist also mit Statik in dieser Lesung der Geschichte um Rose und Walsh von Neil Simon, die im taT zum Leben erwacht und mit feinem Humor gespickt ist.

Selbst als Autorin vielfach ausgezeichnet, führt Rose regelmäßig Plaudereien mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann, dem gefeierten Krimischriftsteller Walsh. Dem kommt eine glänzende Idee, um die drohende Pleite der Geld verschleudernden geliebten Frau abzuwenden: Ein unveröffentlichter Roman von Walsh liegt im Kleiderschrank und harrt der gewinnbringenden Veröffentlichung. Der Haken: Es fehlen noch 40 Seiten, für die kurzerhand der Schreiberling Clancy angeheuert wird. Klar, der verliebt sich natürlich prompt in Arlene als Tochter des Hauses. Ob sie sich kriegen und der Roman fertig wird? Das wird natürlich nicht verraten, dass die Schauspieltruppe eine exzellente Figur machte, natürlich schon.

Allen voran Harald Pfeiffer, der als gewesener Krimiautor mit einem beachtlichen Maß an Authentizität in seine Rolle wuchs. Pfeiffer war tatsächlich Walsh, und es gelang dem Darsteller geradezu famos, seiner Figur Tiefe zu geben. Ironie, Nostalgie, Liebe - Pfeiffer spielte souverän auf der Klaviatur der Affekte des verstorbenen Schriftstellers, und es hat richtig Spaß gemacht, ihm dabei zuzuschauen. Das gilt auch für Petra Soltau als teils etwas starrsinnige Rose, permanent in sanftem Clinche mit ihrem verstorbenen Gatten. Soltau, die sich höchst witzig auch mit schwierigen Themen wie dem eigenen Tod auseinandersetzte, ging auf in ihrer Rolle als ruppig-schrullige Pulitzerpreisträgerin, immer mit einem klaren Wort auf den Lippen, immer kampfbereit. Ein wenig darunter zu leiden hatte Arlene, gelesen und gespielt von Anne-Elise Minetti. Auch sie zeigte eine vorzügliche Leistung als Tochter und Assistentin von Rose, der es letztlich doch gelingt, sich zu emanzipieren. Vierter im Bunde war Pascal Thomas, der mit Clancy einen eher raubeinigen Typen mit Lebensüberdruss spielte. In beachtlichem Maß gelang es Thomas, seine Figur zum Leben zu erwecken. Der kräftige Applaus, den die Vier am Ende bekamen, war mehr als verdient.

Kurz, „Rose und Walsh“ ist alles andere als ein Lückenfüller und einen Besuch wert. Wer die Premiere verpasst hat: Weitere Aufführungen sind am 11. Oktober und 1. November um 20 Uhr im taT.

 

Stephan Scholz, 21.09.2015, Gießener Anzeiger