Slowenische Gastchoreografin Rosana Hribar zeigt in taT „Glaub an mich“ - Gießener Anzeiger

05.12.2015

Das Tanztheater ist doch immer wieder für Überraschungen gut. Das schätzen die Fans, die auch diesmal zahlreich zum Premierenabend in der taT-Studiobühne strömten. Aktuell auf dem Programm: Die slowenische Choreografin Rosana Hribar mit ihrem emotionalen und temporeichen Tanzstück „Glaub an mich“. Bühne und Kostüme hat Teresa Rinn entworfen.

Dies ist eine andere Sprache der Choreografie, als sie das Publikum von Tarek Assam, dem Leiter des Gießener Tanztheaters, kennt. Gut so, denn Abwechslung hält das Theater lebendig.

Was passiert also diesmal? Rosana Hribar und ihre sechs Tänzer erzählen eine ganze Menge, fast zu viel und zu schnell, um es in der Kürze der Zeit angemessen zu verarbeiten. Ausgehend von sechs Charakteren werden Versuche demonstriert, durch die eigene Körperlichkeit eine Idee des „Selbst“ zu definieren und dieses in der Welt zu verteidigen.

Zu Beginn herrscht Ruhe: Ein junger „Schwan“ sitzt in der Mitte der Bühne. William Banks trägt ein schwarzes Tutu und wird von einem einsamen Scheinwerfer angestrahlt, langsam erwacht er zum Leben, bewegt Finger, Arme, steht schließlich auf. Das alles zur Musik von Schwanensee. Der Traumtänzer hat von Anfang an gelitten. Die Regisseurin schildert ihn so: „Ein Charakter, der übersensibel ist, der zu viel fühlt, um in die Gesellschaft hineinzupassen. Wer zu viel Gefühl zeigt, muss leiden.“

Die Gesellschaft zeigt sich gleich in der nächsten Szene: Uniformiert kommen die fünf übrigen Ensemblemitglieder herein, bekleidet mit grauen Anzügen und Schlips. Wenn sie die Kapuzen an der Jacke aufsetzen, könnten es auch Hooligans sein. Denn gewalttätig ist die Szenerie von Anfang an. Jeder gegen jeden, in ausgefeilten, getakteten Bewegungsabläufen nach rhythmischem Technopop. Hektisches Atmen, angstvolle Rufe, sonst ändert sich nicht viel am Gleichmaß.

Doch dann startet eine junge Frau (Kristina Norri) einen Befreiungsversuch. In verzweifelten Bewegungen löst sie die Krawatte vom Hals, öffnet das enge Jackett. Weit kommt sie nicht mit ihrer Selbstständigkeit, denn schon ist ein Mann (Iacopo Loliva) neben ihr und reißt ihr die übrigen Kleider, bis auf den schwarzen BH und den Slip, vom Leib. Es folgt eine Vergewaltigungsszene, die mit ihren brutalen Bewegungsabläufen der Realität sehr nahe kommt. Dann eine Minute des Schweigens, der Zuschauer soll sich seiner Rolle bewusst werden.

Szenenwechsel: Die Choreografin lässt die zweite Hälfte des Tanzabends im Rotlichtmilieu spielen. Die Tänzerinnen und Tänzer haben die grauen Anzüge gegen schwarze Dessous ausgetauscht. Eine anspruchsvolle Solodarbietung bietet Magdalena Stoyanova als Domina, und Caitlin Rae Crook turtelt geschickt mit beiden Männern.

Es geht um Sex, es geht um die Liebe und um Anerkennung. Eine besondere Note erhält der Tanzabend durch die Abwechslung von Ballettmusik und Technorhythmen, eine Collage von klassischen Klängen, Tango und R’n’B-Beats bis hin zu Melodien aus der slowenischen Heimat von Rosana Hribar. Die Lichtregie passt sich geschickt diesem Wechsel an.

Schließlich sind im Hintergrund noch Ausschnitte von Gedichten zu sehen. Schade, zu viele Zeilen, um sie mit Verstand zu lesen. Einmal heißt es: „Da muss, muss wirklich jemand sein…dem du die mutigen Vögel deiner Träume geben solltest.“ Ja, Poesie muss auch dabei sein.

So bleibt als Fazit: Vielleicht ein bisschen viel von allem, aber bewegend und mitreißend ist es dennoch. Sowohl Publikum als auch Tänzerinnen und Tänzer sind mit Hingabe bei der Sache. Entsprechend begeistert fiel der Beifall aus.

 

Ursula Hahn-Grimm, 05.12.2015, Gießener Anzeiger