Spannend und bedrückend: „Solaris“ als Live-Hörspiel im taT-Studio - Gießener Anzeiger

05.05.2015


GIESSEN - Ein ungewohntes Bild am Freitagabend im taT: Überall im abgedunkelten Zuschauerraum leuchten kleine grüne Punkte. Es herrscht eine fast surreale Atmosphäre, die so richtig gut passen will zu dem, was sich auf der Bühne abspielt. Denn in einem Live-Hörspiel lesen dort Roman Kurtz, Anne-Elise Minetti, Rainer Hustedt und Carolin Weber „Solaris“ von Stanislaw Lem in einer dramatisierten Version von Tim Staffel. Ein beeindruckendes Erlebnis.

Denn mit seiner atmosphärisch dichten Inszenierung gelingt es Milan Pesl, die Zuhörerschaft mitzunehmen auf die Forschungsstation beim Planeten Solaris. Die Gäste sind ganz nah dran, als Psychologe Kris Kelvin bei der Station ankommt. Erst vor Kurzem hat sein guter Freund Gibarian hier Selbstmord begangen, und beim Eintreffen ist Kelvin mit den höchst seltsamen und auf den ersten Blick paranoid wirkenden Stationsbewohnern Snaut und Sartorius konfrontiert. Und wie kommt des Psychologen schon vor Jahren verstorbene Frau Harey hierher? Welche Rolle spielt der Ozean auf Solaris, der intelligente Materie zu sein scheint?

Latente Bedrohung

Eine spannende Geschichte, die Pesl und die Seinen mit ihrem Hörspiel tatsächlich noch spannender machen. Rein akustische Mittel wie die von Katharina Sendfeld erzeugten Geräusche und die Musik von Pesl und Martin Spahr erschaffen ein intensives Klima von latenter Bedrohung, dem sich der Zuhörer kaum entziehen kann. Großen Anteil an der Bedrückung hat die Idee, das Geschehen nicht per Lautsprecher in den Raum schallen zu lassen. Beim Eintreten bekommen die Zuschauer vielmehr Kopfhörer – die grünen Punkte sind die Bereitschaftsleuchten der Geräte –, über die sie das Hörspiel erleben. Durch diese intime Form der Beschallung rückt die Handlung ganz nah ran an den Gast, der die Turbulenzen auf der Forschungsstation im Handumdrehen vor das innere Auge gezaubert bekommt.

Die Sprecher bieten allesamt beachtliche Leistungen. Allen voran Roman Kurtz als Kris Kelvin. Es ist ja längst bekannt, dass Kurtz dank seiner Fähigkeiten zur ersten Liga der Sprecher gehört. Einmal mehr beweist er das in „Solaris“, denn dem Schauspieler gelingt es famos, Kelvins Charakter mit rein stimmlichen Mitteln auszudifferenzieren. In feinen Nuancen entsteht das Psychogramm eines Wissenschaftlers, der zwischen nüchterner Sachlichkeit, Forscherdrang und der eigenen Vergangenheit hin und her schlingert. Respekt vor dieser Leistung, aber auch vor jener Minettis als Harey. Oder besser gesagt als Abbild Hareys, erzeugt vom intelligenten Ozean auf Solaris. Mit großer Leichtigkeit erschafft Minetti eine Figur, die Kelvin gerade durch ihre naive Unbedarftheit ein ums andere Mal emotional in die Enge treibt.

Snaut ist in Hustedts authentischer Interpretation der hemdsärmelige Mechanikertyp, mal pragmatisch, mal von Ängsten gebeutelt. Die hat Webers Sartorius nicht. Die Schauspielerin erliest einen radikalen Wissenschaftler, der auch vor dem Letzten nicht zurückschreckt.

Pesl und seine Crew haben einen im doppelten Sinne fantastischen Abend geschaffen, den sich Theaterfreunde nicht entgehen lassen sollten, egal ob Anhänger der Science Fiction oder nicht.

Die nächste Aufführung ist am 10. Mai um 20 Uhr mit einem besonderen Clou verbunden: Im Anschluss wird im Kinopolis ab 22 Uhr nämlich Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ gezeigt. Wer das nicht schafft: Das Hörspiel ist für die nächste Spielzeit als Wiederaufnahme angekündigt.

Stephan Scholz, 04.05.2015, Gießener Anzeiger