Spaßterroristinnen im Theaterstudio - Gießener Allgemeine Zeitung

23.04.2016

So ist man mittendrin im Geschehen und muss sich dabei die kompletten 55 Minuten Spieldauer festhalten, um nicht ins Straucheln zu geraten: So wie die drei Protagonistinnen Lore, Bettie und Mia, die mit ihren »Adventure Games« unaufhaltsam auf eine Katastrophe zusteuern.

Angst schweißt Menschen in Not zusammen. Sie kann uns lähmen, aber auch unendlich befreit fühlen lassen, wenn die Gefahr vorüber ist. Laura Naumann – 1989 geboren und hochgelobt die Möglichkeiten als Dramatikerin und Performerin auslotend – lässt in ihrem erst dritten veröffentlichten Theatertext »Demut vor deinen Taten Baby« die nicht allzu helle aber resolute Bettie, das einsame Cowgirl Mia und die vor ihrer religiösen Mutter flüchtende Lore in einer Flughafentoilette aufeinandertreffen. Wegen eines Bombenalarms fürchten sie um ihr Leben, doch als sie die Krise unbeschadet überstehen, sind sie voller Euphorie. Dieses Gefühl wollen sie auch anderen vermitteln und beginnen mit »Adventure Games« – simulierten Terroraktionen. Doch das Gegenteil von »gut« ist »gut gemeint«, weiß schon Mias sprechendes Pferd. In der Tat: Die Regierung spannt die drei Frauen für ihre Zwecke ein, um für bessere Stimmung im Land und Aufschwung zu sorgen. Doch eines Tages funktioniert das nicht mehr. Es müssen härtere Geschütze aufgefahren werden, damit die Menschen wieder funktionieren, und Bettie, Mia und Lore werden geopfert.

Beatrice Boca, Anne-Elise Minetti und Mirjam Sommer schlüpfen im rasantem Wechsel in die überspitzt skizzierten Frauentypen, tauschen permanent Kostüme und Masken. Als »Trio infernale« kämpfen sie gegen die Einsamkeit ihrer Figuren an und demonstrieren die Ausweglosigkeit guter Absichten in einer Eventgesellschaft, in der es keine tiefe Freundschaft gibt, nur den inszenierten Spaß. Alles wird instrumentalisiert und konsumiert und gegen den bitteren Geschmack im Mund verteilen die drei Sahnebonbons unter den Zuschauern. Ein echtes politisches Bewusstsein haben sie nicht.
Starczewski setzt ganz auf die Kraft des Textes. Die Grenzen zwischen Schauspiel und Performance bleiben fließend. Immer wieder stehen Mia, Lore und Bettie einfach da und erzählen von ihren Geschichten und Absichten: derb, obszön, emotionsgesteuert.

Ausgerechnet an einem 11. September bringt das Stadttheater Naumanns Stück als Premiere zur neuen Spielzeit auf die Bühne. Der Anschlag von 2001 auf das World Trade Center hat unsere Welt verändert. So wie Bettie, Mia und Lore haben auch wir den Terror überlebt, vermissen seitdem das Gefühl von Unbeschwertheit. Ein verlassener Koffer am Flughafen – so wie er an diesem Theaterabend mitten unter den Zuschauern steht – und schon schrillen in unseren Köpfen die Alarmglocken. Doch gibt es auch für uns wie für die drei Spaßterroristinnen nach dem Showdown einen neuen Anfang? »Game over« oder doch nicht?

Karola Schepp, 14.09.2015, Gießener Allgemeine