Vonwegen alter Hut! - Gießener Anzeiger

13.06.2016

Theater macht sich selbst zum Thema. Klingt nach altem Hut? Vorsicht mit vorschnellen Urteilen, denn Corinne Maier und Katharina Bill gelingt es in ihrer Stückentwicklung „My Self“ geradezu famos, diesem immer mal wieder auf deutschen Bühnen auftauchenden Motiv ein paar neue und teils höchst amüsante Seiten abzugewinnen. Am Freitag hatte das Stück, das als eine Art Collage daherkommt, auf der taT-studiobühne Premiere. Und am Ende gab es eifrigen Applaus vom augenscheinlich weitgehend gut unterhaltenen Publikum.

Rein formal betrachtet bieten die beiden Regisseurinnen ihrem Publikum ein kleines und quicklebendiges Kammerspiel, das das tiefer liegende Thema individueller Verwirklichung am Beispiel des Schauspieleralltags abklopft. Zu diesem Zweck inszenieren die beiden, die von Anne-Elise Minetti, Roman Kurtz und Maximilian Schmidt als Schauspielensemble bei ihrer Arbeit unterstützt wurden, eine Art Bilderbogen.

Dem Publikum werden zunächst eine Reihe ganz unterschiedlicher theatraler Performances auch in ironischer Brechung vorgeführt, die übrigens durch ihre Länge der einzige kleine Haken des Abends sind. Sie nehmen etwa das erste Drittel der Inszenierung ein. Mit der Zeit wird es etwas zäh, doch gelingt es der gesamten Truppe, diesen Eindruck in den verbleibenden zwei Dritteln wegzuspielen und vergessen zu machen.

Zurück zur Collage, die neben diesen selbstreferentiellen Darstellungen unter anderem auf Szenen aus Proben oder Aspekte des persönlichen Lebens der Schauspieler setzt. Maier und Bill zeichnen damit ein höchst sehenswertes Bild von im Realen verwurzelten Wegen und Sackgassen der Selbstverwirklichung von Schauspielern auf die Bühne. Das ist intelligent und macht richtig Laune, vor allem dank vorzüglicher Leistungen des Ensembles.

Von der ersten Minute an spielen Minetti, Kurtz und Schmidt befreit auf, um wirklich eindrucksvoll unter Beweis zu stellen, was in ihnen steckt. Es ist die pure Spielfreude, die sich mit großer Regelmäßigkeit schwallartig in den Zuschauerraum ergießt und gerade Freunden der altehrwürdigen Schauspielkunst weitab von technischem Schnickschnack große Freude bereiten dürfte. Minetti, Kurtz und Schmidt zeigen sich tatsächlich meisterhaft, und der kräftige Beifall am Ende war deshalb alles andere als ein Wunder.

Heruntergekommen

Verortet ist das Ganze im Bühnenbild der beiden Regisseurinnen, die das Originalbühnenbild von „Sei Nicht Du Selbst“ des Schauspielhauses Graz verwenden. Diese Kulisse vermittelt einen eher heruntergekommenen und sehr formalen Eindruck, der genau richtig ist, ist er doch der äußere Verweis auf das Gemachtsein von Theater hinter den schönen Dekors.

Maier, Bill und die Ihren bringen einen intelligenten und witzigen Abend auf die Studiobühne, dessen anfängliche Längen schnell vergessen sind. Theaterfreunde sollten ihn nicht verpassen.


Stephan Scholz, 13.06.2016, Gießener Anzeiger