Schnell, quirlig und expressiv: So lässt sich die jüngste Tanzpremiere auf der taT-Studiobühne des Gießener Stadttheaters beschreiben. Inszeniert wird "Der blonde Eckbert" nach einem Kunstmärchen von Ludwig Tieck. Die Grenzen von Realität und Wahnsinn verschwimmen in diesem Stück. Nicht nur die Tänzer versuchten die Grenzen auszuloten, auch die Zuschauer hatten Anlass, an ihrem Verstand zu zweifeln. Sie trauten ihren Augen kaum: Gleich mehrfach verschwanden Personen von der Bühne, um dann später irgendwo im Hintergrund wieder aufzutauchen. Das Tanztheater als Zaubershow.
Was treibt die sieben Tänzer und Tänzerinnen an, die, ganz in Schwarz-Weiß gekleidet, auf dieser dunklen Bühne mit den weißen Holzstellagen zu agieren? Die Novelle "Der blonde Eckbert" aus der Zeit der Frühromantik ist kaum bekannt. Eine Einführungsveranstaltung zusammen mit dem Literarischen Zentrum Gießen (LZG) bot Aufklärung über Inhalt und Genre. Denn dieser Tanzabend ist ebenso wie die drei anderen Aufführungen in dieser Saison Teil der Veranstaltungsreihe "Literatur trifft Tanz".
Doch wem diese Informationen fehlen, der lässt seine Phantasie spielen, wie es ohnehin beim Tanztheater zu empfehlen ist. Im Hintergrund läuft ein Film, kontrastierende Musikstücke aus Klassik und Moderne und vor allem die lebhaften Bewegungen und wechselnden Konstellationen der Tänzer sorgen für eindrucksvolle Szenen. In einem innigen Duett führt der Choreograph in die Beziehung von Eckbert und Bertha ein. Die Katastrophe beginnt, als Eckbert seinem Freund Walther - und später auch Hugo und damit der Gesellschaft - von der geheimnisvollen Kindheit Berthas, der sogenannten "Waldeinsamkeit" bei der mystischen Alten erzählt, erläutert Dramaturgin Maite Beisser im Programmheft. Beide haben letztlich Schuld auf sich geladen: sowohl Bertha als auch Eckbert, und werden schließlich von der mystischen Alten entlarvt.
Schuld und Sühne
Verstecken und Schuldgefühle drücken die Tänzer mit Hilfe weißer Stofftücher aus, die sie auf- und zufalten oder den Schuldigen wie einem Folteropfer um den Kopf binden. Schwer verständlich wird dieses Geflecht aus Schuld und Sühne, weil die Hauptfiguren gleich doppelt besetzt sind: Die Rolle des blonden Eckbert spielen Magdalena Stoyanova und Yusuke Inoue, in der Rolle der Bertha sind Mamiko Sakurai und Skip Willcox zu sehen. Das spiegelt die schizophrene und gespaltene Situation wider.
Aus dem schwarz-weißen Auftritt der Compagnie ragt zunächst nur der leuchtend rote Vogel hervor. Der jungen Tänzerin Clara Thierry gelingt es, den Zaubervogel als ein strahlendes und zugleich verletzliches Geschöpf darzustellen. Auch Strohmian, der lebhafte Hund (Marcel Casablanca Martinez) ist nach Ablegen des schwarzen Mantels an seiner gelben Kleidung gut zu erkennen. Die ausdrucksstarke Magdalena Stoyanova hat als zweite Rolle noch Freund Walther zu verkörpern. Die mystische Rolle der alten Frau schließlich wird von Douglas Evangelista getanzt, der in ein dunkles Priestergewand gekleidet ist.
In dem von Paolo Fossa mit sieben Personen besetzten Tanzstück waren gleich vier junge Tänzer zu sehen, die erst seit dieser Spielzeit zur Tanzcompagnie Gießen gehören. Sie haben ihre Sache gut gemacht, ebenso wie ihre Kolleginnen, die schon länger bei der Truppe sind. Der herzliche Applaus nach 65-minütiger Spielzeit war Ehrensache.
Das Bühnenbild stammt von Friederike Schmidt-Colinet, die Kostüme von Kathi Sendfeld.
Ursula Hahn-Grimm, 10.12.2016, Gießener Anzeiger