Treu oder nicht treu? Das ist die Frage aller Fragen im Opernklassiker "Così fan tutte oder Die Schule der Liebenden". Ein weiteres Mal stellt Hans Walter Richter diese Schicksalsfrage mit seiner Inszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts Stück über die Irrungen und Wirrungen der Liebe, die am Samstagabend am Stadttheater Premiere hatte. Und es wäre keinesfalls zu hoch gegriffen, von einem Triumph des heimischen Musiktheaters zu sprechen. Denn als nach dreieinhalb Stunden inklusive Pause Schluss war, applaudierte das Publikum begeistert.
Langsam hebt sich der Vorhang und gibt den Blick frei auf eine Bühne, die frei von Schnörkeln und Pomp ist. Wer hier italienisches Lebensgefühl oder höfische Attitüde des späten 18. Jahrhunderts sucht, der ist bei Richter falsch. Der Regisseur hat Mozarts Erfolgsoper sehr puristisch mit Fokus auf die Zeitlosigkeit des emotionalen Exempelfalls inszeniert.
Puristisches Bühnenbild
Bühnenbildner Heiko Mönnich greift diesen Ansatz auf. Er hat eine Reihe hohe und konturierte Wände mit meterhohen Türen geschaffen, die die Rampe rahmen und sich im Verlauf des Abends mehrfach in Bewegung setzen. Ein großer Kronleuchter, der bisweilen von der Decke herabschwebt, und wenig Ausstattung wie einige Stühle oder Tische - fertig ist die von Betonfarben dominierte Bühnenoptik. Alles zusammengenommen strahlt die Rampe eine nüchterne und gleichzeitig monumentale Kühle aus, die in ihrer Machart Assoziationen zu Fritz Langs Stummfilmklassiker "Die Nibelungen" weckt. Dieser Ansatz ist famos, denn analog zur Kulisse des Filmepos drückt sich in den übergroßen Dimensionen des Bühnenbildes das besondere und geradezu epische Gewicht von Mozarts Beispielfall für das menschliche Leiden an den Wirrungen der Liebe aus. Dessen Zeitlosigkeit unterstreicht die Nüchternheit der Formen und der Betonfarbe.
Auch bei den Kostümen bleibt sich Mönnich treu, denn er setzt auf Schlichtheit. Schwarz und Weiß sind die Farben der Bühnengarderobe, die im Schnitt auf die Formen von Alltagsbekleidung baut. Kurz, eine bemerkenswerte Bühnenoptik, deren epischer und zeitloser Purismus geradezu famos mit Richters schnörkelloser Inszenierung des Handlungsverlaufs korrespondiert. Denn der Regisseur setzt in allererster Linie auf die stimmliche und darstellerische Kraft seines Bühnenpersonals und verzichtet auf Spielereien wie Videos oder anderen technischen Firlefanz. Nein, Richter vertraut auf sein Ensemble und wird dafür reich belohnt. Besonders auffällig: Für eine Operninszenierung liefert die Truppe eine höchst beachtliche schauspielerische Performance ab. Hier wird gespielt, interagiert, intrigiert, geliebt und gelitten, dass es eine wahre Freude ist, und es macht schlicht und einfach Spaß, den Darstellern dabei zuzusehen. Hut ab, vor diesen sehenswerten darstellerischen Fähigkeiten, die in dieser Qualität für das Musiktheater ungewöhnlich tief sind. Doch natürlich geht es auch bei "Così fan tutte" in erster Linie um die Musik, und die ist ein Genuss, dank vorzüglicher Leistungen von Solisten, Chor und Philharmonischem Orchester.
Darsteller überzeugen
Zunächst zu den Solisten und damit zu Francesca Lombardi Mazzulli, die als Fiordiligi mit ihrem glockenklaren Sopran schlichtweg betört. Voller Energie, sprühender Leidenschaft und großer Gefühle legt sie ihre Fiordiligi als Zweiflerin an, die sich letztlich von ihrem Temperament übermannen lässt. Kein Wunder, dass es am Ende Extraapplaus gab für diese energiegeladene Darbietung, hinter der sich Marie Seidler als Dorabella keinesfalls verstecken braucht. Im Gegenteil: Die Mezzosopranistin, die ihre Klasse auf der heimischen Musiktheaterbühne längst bewiesen hat, zeigt als Dorabella erneut großes Format und jede Menge Emotionen, um insbesondere mit stimmlicher Farbenfreude zu betören. Eine Leistung, die ganz besonderer Würdigung bedarf, bringt Karola Pavone als Zofe Despina auf die Bühne. Durchtrieben, hinterlistig und in Liebesdingen höchst pragmatisch legt sich Pavone als Kupplerin Despina ins Zeug, dass es die helle Freude ist. Mehr noch: Man kann von stimmlicher Artistik sprechen, denn das, was Pavone unter anderem im Kostüm eines Notars mit ihrer Stimme anstellt, lässt insbesondere mit Blick auf den völlig ansatzlosen Wechsel der Tonlagen den Atem stocken. Doch auch die Herren der Inszenierung brauchen sich keinesfalls verstecken. Allen voran Tenor Clemens Kerschbaumer, der als Dorabellas Liebhaber Ferrando ebenso wie Bariton Grga Peroš mit Präsenz und und tiefen Gefühlen Eindruck macht. Eher zurückhaltend aber dafür umso nachdrücklicher agiert Bariton Tomi Wendt als Philosoph Don Alfonso, der die Liebenden mit seiner hintertriebenen Art ein ums andere Mal kräftig durchwirbelt. Wendt legt die Rolle eher leise an, um in den großen Momenten, in denen es dann wirklich darauf ankommt, stimmlich umso präsenter zu sein.
Präsenz ist auch das Stichwort für Chor und Extrachor unter der Leitung von Jan Hoffmann, die wie gewohnt mit Macht und klarer Intonation betören. Das Philharmonische Orchester unter der Leitung von Generalmusikdirektor Michael Hofstetter zeigt sich bestens aufgelegt und lässt die Leichtigkeit und emotionale Tiefe von Mozarts Klassiker ohne Fehl und Tadel aus dem Graben perlen.
Fazit: Musiktheater vom Feinsten und ein Tipp für Theaterfreunde.
Stephan Scholz, 27.03.2017, Gießener Anzeiger