Das kühle Einheitsbühnenbild und die modernen Kostüme haben ihre Tücken. Steckt da noch der klassische Mozart drin? Im Stadttheater gibt Regisseur Hans Walter Richter mit der Oper »Così fan tutte« die Antwort.
Auch wenn einzelne Wände als Trenn- elemente hin- und hergefahren werden können, um die Perspektive zu öffnen oder zu verjüngen, lässt das hellgraue, kastenförmige und sterile Einheitsbühnenbild nichts Gutes ahnen. Das Outfit der Protagonisten sieht nach tristem Modernitätseinerlei aus. Und der alte Treue-Untreue-Sermon lockt heute eigentlich auch keinen mehr hinterm Ofen hervor. Regisseur Hans Walter Richter hat in seiner Inszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts spielerischem Operndrama »Così fan tutte oder Die Schule der Liebenden« hoch gepokert – und am Ende alles gewonnen.
Was in den ersten Minuten gepflegte Langeweile verspricht, entwickelt sich im Verlauf des Premierenabends am Samstag zu einem Vabanquespiel der Gefühle, ermutigt das Publikum zum Mitdenken, lässt Optionen offen, gibt Halt, wo Ernst unumgänglich erscheint, und zieht mithilfe des Wortwitzes von Librettist Lorenzo da Ponte auch optisch die Humorkarten an den richtigen Stellen.
Ausstatter Heiko Mönnich hat ein zeitloses Sujet kreiert, fernab der ursprünglichen Soldatenwelt. Die Herren tragen Schwarz und Weiß. Sie drehen ihre Sakkos auf Links, um beim Partnertausch von ihren Liebsten nicht erkannt zu werden. Die Damen kleidet meist schlichtes Schwarz. Das Licht (Jan Bregenzer) leuchtet die jeweilige Stimmung psychologisch klug aus. Es entsteht eine laborartige Versuchsanordnung, in der das Standhafte und das Fremdgehen ausgelotet werden, in der aus Wahrheit Spiel wird und umgekehrt, und deren optische Kälte mit dem warmen und hellen Sound der Musik stimulierend konkurriert. Die Inszenierung gewinnt im zweiten Durchgang an Konzentration und hält den Spannungsbogen bis zum Schluss, wenn die sechs Solisten wie befreit beim Bankett sitzen und sich nach den Höhen und Tiefen mit einem Grinsen im Gesicht den Bauch vollschlagen. Zum Teufel mit der Treue!
Die Sänger gehören bis auf Sopranistin Francesca Lombardi Mazzulli als gern gesehener Gast alle zum Ensemble. Mazzulli präsentiert als Fiordiligi einen klaren Sopran, lässt aber etwas kantige Koloraturen hören. Marie Seidler (Dorabella) verfügt trotz ihrer Jugend in der Mittellage über einen ausgereiften Mezzosopran, der an Schönheit nicht zu überbieten ist. Tenor Clemens Kerschbaumer darf als Ferrando zeigen, was er kann. Er und der stimmstarke Bariton Grga Peroš (Guglielmo) gefallen in den Rollen der betrogenen Betrüger. Tomi Wendt gibt mit seinem wohltönenden Bassbariton den verschlagenen Philosophen Don Alfonso. Seine verschmitzte Mimik sucht ihresgleichen. Karola Pavone (Kammerzofe Despina) nimmt die Soubrettenrolle nicht auf die leichte Schulter. Sie hat die Lacher auf ihrer Seite, wenn sie als Chirurgin im selbst erfundenen Kindersopran näselt oder Gesichter macht, die nur sie machen kann. Der Chor (Einstudierung: Jan Hoffmann) agiert mit Bedacht.
Generalmusikdirektor Michael Hofstetter geht es eilig an. Er rauscht mit seinem Philharmonischen Orchester Gießen durch die Ouvertüre und drückt auch sonst auf die Tube, wenn Dynamik gefragt ist, schaltet aber einen Gang zurück, sobald es heikel wird auf der Bühne und die Emotionen auch musikalisch eingefärbt werden sollen. Als Experte für die historisch informierte Aufführungspraxis lässt Hofstetter mit Naturhörnern und -trompeten spielen. Die Streicher benutzen klassische Bögen, um den Klang ebenfalls möglichst nah ans Original des Jahres 1790 heranzuführen. Das funktioniert über weite Strecken hörbar gut. Die doppelten Holzbläser sind mit den Streichern wie immer auf der Höhe, obschon Hofstetter gerade mal sechs erste Violinen antreten lässt, denen er zwei Bässe gegenüberstellt. Im Continuo absolvieren Jürgen Banholzer und Attila Hündöl an Cembalo und Cello während der Rezitative ihren eigenen Musikmarathon.
Ein pulsierender, ungewöhnlicher Mozart, der klassisch klingt und modern wirkt. Samt des augenzwinkernden, frohgemütlichen Schlussbildes eine gelungene Interpretation. Lang anhaltender Applaus vom Publikum.
Manfred Merz, 26.03.2017, Gießener Allgemeine Zeitung