Jiri Burian springt kurzfristig für erkrankten Kollegen ein / Reizvolle Begegnung mit Komponist Crusell
Viele Besucher des Kammerkonzerts im Stadttheater hatten sich am Sonntagvormittag auf Franz Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ gefreut, doch es blieb bei der Vorfreude. Wegen Erkrankung des Geigers Cornelius Jensen musste auf die Aufführung verzichtet werden.
Ein weiteres Werk des Programms konnte hingegen im letzten Augenblick gerettet werden: Konzertmeister Jiri Burian war kurzfristig für den erkrankten Kollegen eingesprungen, sodass das „Amerikanische Quartett“ op. 96 von Antonin Dvorak – wie vorgesehen – erklingen konnte. Es war ein so dichtes, fließendes und geradezu süffiges Musizieren, das schon nach den ersten Takten vergessen ließ, dass sich Burian erst vor gut einer Woche in das Ensemble eingefügt hat. Dvoraks schwelgerischer Ton war wunderbar getroffen, und im bruchlosen Zusammenspiel der vier Instrumentalisten aus den Reihen des Philharmonischen Orchesters – Gowoon Baek (Violine), Karolina Rybka (Viola), Attila Hündöl (Cello) – lief es wie am Schnürchen. Die Zuhörer im voll besetzten Theaterfoyer dankten für die gefühl- und temperamentvolle Darbietung mit herzlichem Applaus.
Antonin Dvorak (1841 – 1904) brachte in geradezu verschwenderischer Fülle Melodien hervor; sie schienen ihm nur so zuzufliegen. Das mit seinem Reichtum an Klangfarben und eingängigen Melodien gespickte „Amerikanische Quartett“ erweckt den Eindruck von „unverbrauchten, erfrischenden Volksklängen“ (Hanslick). Im Kammerkonzert war schon im ersten Satz, der wie eine einzige Ode an die Natur erscheint, diese Frische spürbar. Getragen von musikantischer Spiellust setzten die Interpreten ganz auf die Stärken der Partitur, und wie sehr die vier Instrumentenstimmen ein schönes Ganzes ergaben, zeigte sich besonders im zweiten Satz mit seiner weitgespannten, melancholischen Kantilene. Hier war alles inniges Musizieren von bezwingender Intensität. Voller Elan bündelten die Musiker noch einmal im stürmischen Finale alle Kräfte.
Stürmisches Finale
Nicht nur Jiri Burian, sondern auch die chinesische Geigerin Yi Xiao war kurzfristig eingesprungen. In enger Verschmelzung mit Gowoon Baek und in einer Haltung höchster Konzentration führte sie zu Beginn zwei Sätze (Andante cantabile, Allegro) aus der Sonate für zwei Violinen C-Dur op. 56 von Sergej Prokofjiew (1891 – 1953) auf. In der kunstvollen, keineswegs leicht zugänglichen Komposition spürten die beiden Geigerinnen den reinen, fließenden Klängen nach.
Zu einer reizvollen Begegnung mit dem Komponisten Bernhard Crusell (1775 – 1838) lud dessen Klarinettenquartett Es-Dur op. 2,1 ein. Obwohl er fast sein ganzes Leben in Schweden verbrachte, war Crusell, ein Zeitgenosse Beethovens, ein Finne. Er zählte zu den herausragenden Klarinettenvirtuosen seiner Zeit, und seine Kompositionen – meist mit oder für Klarinette – werden bis heute weithin geschätzt. Der Einfluss Mozarts ist zwar überall spürbar, doch die Stücke sind eher einem frühromantischen Klangideal verpflichtet und stehen den Meistern seiner Zeit, Louis Spohr und Carl Maria von Weber, nahe.
Natürlich ist auch dieses Klarinettenquartett, in dem Thomas Orthaber sein Instrument wunderschön „singen“ ließ, der Klarinette auf den Leib geschrieben. Die Vertrautheit mit den Spielmöglichkeiten des Instruments spricht aus jedem Takt. Heiter, liebenswert und mozartisch angehaucht kam der erste Satz in der beschwingten Wiedergabe daher. Mit klarem, leuchtenden Ton nahm Orthabers Spiel die Zuhörer für sich ein, und besonders im Menuetto/Allegro des zweiten Satzes mit seiner anrührenden, liedhaften Melodie musizierte das Ensemble hingebungsvoll mit sehr viel Feingefühl. Bravo!
Thomas Schmitz-Albohn, 16.01.2018, Gießener Anzeiger