Tradition trifft auf Moderne. Genauer: Romantik auf die Neuzeit. Beim Sinfoniekonzert im Stadttheater zelebriert Dirigent Michael Hofstetter harte Kontraste. Ein Wagnis, das der Generalmusikdirektor gern eingeht.
Da traut sich einer was. Immer wieder passt Generalmusikdirektor Michael Hofstetter neue Klangbilder in seinen Konzertrahmen ein. Progressives trifft dabei auf Tradition. Der Barockspezialist, der das Originäre pflegt und als Experte für die historisch informierte Aufführungspraxis gilt, fordert auf dem Weg in neue Sphären die Etablierten heraus und stellt Orchester und Publikum gleichermaßen auf die Probe. Hat das Dissonante, das musikalisch weit Gedachte eine Chance im Klangkosmos der anerkannten Größen?
Am Dienstagabend konnten sich die Besucher des Sinfoniekonzerts im Stadttheater wieder einmal selbst ein Bild davon machen, als die Romantik es mit der Moderne aufnehmen musste. Hofstetter gruppierte die Peer-Gynt-Suite Nr. 1 op. 46 von Edvard Grieg und Robert Schumanns 4. Sinfonie d-Moll op. 120 um das Konzert für Klarinette und Orchester des Finnen Magnus Lindberg aus dem Jahr 2002.
Solist Nikolaus Friedrich hat darin alle Hände voll zu tun, um in den drei Registern, die das Instrument dem Versierten zur Verfügung stellt, das Letzte aus seiner Klarinette herauszuholen. Allein mit den unzähligen chromatischen Läufen spielt Friedrich, im Brotberuf Soloklarinettist des Nationaltheater-Orchesters Mannheim, das Publikum schwindelig. Auch das sechstönige Thema phrasiert er vehement. Überhaupt präsentiert sich der Solist als großer Könner seiner Zunft. Das Philharmonische Orchester Gießen meistert unter Hofstetters Dirigat geschickt die Vielzahl der Nuancen und zelebriert unerhörte Steigerungen.
Nach der Pause Schumanns 4. Sinfonie, die mit ihren vier verwobenen Sätzen einen wohltuenden Kontrast zum Finnen bildet und von Hofstetter und seinem Orchester in strahlender Schönheit eingefangen wird. Bleibt noch die Eröffnung des Abends, Henrik Ibsens Abenteurer Peer Gynt. Kein zweiter Komponist hat das Lyrische in der Romantik so betörend realisiert wie Grieg in dieser ersten von zwei Schauspielmusik-Suiten. Die vier Sätze gehören zum Besten, was die Epoche zu bieten hat. Der zweite Abschnitt, der den Tod von Gynts Mutter thematisiert, mausert sich zugleich zum feinsten Streicherstück, das je unter Hofstetter im Großen Haus erklang. Die »Morgenstimmung« zuvor lässt der Dirigent gut balanciert aufleben, der Tanz im Mazurka-Tempo in Durchgang drei hat Schmiss und das Finale »In der Halle des Bergkönigs« genügend Druck, um vollends zu überzeugen. Hofstetter begeht nicht den Fehler einiger Kollegen, im Schlussspurt schneller sein zu wollen als die Schnellsten und den Satz im Temporausch zu verhunzen. Stürmischer Beifall vom ausverkauften Haus.
Manfred Merz, 06.12.2017, Gießer Allgemeine Zeitung