Kirill Troussov zeigt im Stadttheater Meisterleistung auf der Violine / Beseelte Zuhörer
Ein Musikereignis der besonderen Art genossen die Besucher des 8. Sinfoniekonzerts im Stadttheater. Unter der minutiösen Leitung von Generalmusikdirektor (GMD) Michael Hofstetter wurden Werke von Anton Webern, Alban Berg und Franz Schubert präsentiert. Als Solist überzeugte dabei Kirill Troussov auf der Violine mit einer herausragend emotionalen und handwerklich unübertrefflichen Meisterleistung.
Doch der Abend hielt neben den erwarteten solistischen Vergnügungen noch weitere Attraktionen bereit. Hofstetter servierte mit dem herausragend disponierten Philharmonischen Orchester zunächst Anton Weberns (1883 bis 1945) Fünf Orchesterstücke op. 10, gleichsam als aparte Vorspeise. Webern zeigt hier eine Synthese von größter Originalität und vielfältigster Gestaltung. Schon die verminderte Kammerbesetzung des Orchesters ließ ein kleineres Klangformat erwarten. Der erste Satz ein zauberhaftes Intro, fein schräg, im Zweiten eine leicht schrille Energie, im Grunde ein einziger Akkord. Dann zarte Perkussion, zum Schluss alles ausgehaucht. Im Vierten kaum etwas, nur Streicher. Im fünften Satz ein Glockenspiel, ein paar Bläser, kurz Streicher, den Schluss ausgetupft. Ehe man sich’ s versah, war in weniger als zehn Minuten schon alles vorbei. Der GMD trat vor und kündigte an, diese „unglaublich interessant notierte geheimnisvolle Unterhaltung zwischen einigen Wesen – so ähnlich wie die drei Schwätzer – noch einmal zu spielen, um die Feinheiten zu vertiefen“. Erfolgreich, die Zuhörer gaben sich der beseelt nuancierten Wiedergabe gern erneut hin.
Alban Bergs (1885 bis 1935) Violinkonzert in zwei Sätzen war die nächste Extravaganz im Programm. Es ist eine Totenklage im Geist der Romantik, die das reiche Erbe des 19. Jahrhunderts mit den Mitteln avancierter Zwölftontechnik verwebt. Für den Komponisten wurde es zum Requiem und damit zum mythischen Werk, dessen Einfluss weit in das 20. Jahrhundert reicht. Solistisch gestaltet wurde es vom russischen Virtuosen Kirill Troussov.
Er gehört zu den international gefragtesten Geigern seiner Generation, ist bei renommierten Orchestern und wichtigen Musikfestivals weltweit zu Gast und spielte mit absoluten Größen zusammen. Schon der zauberhaft-rätselhafte Auftakt fesselte die Zuhörer. Dann folgten rebellisch-liebliche Aspekte wie im Zauberwald. Troussov agierte mit superber Klarheit und Ausdruck, formulierte mühelos feinste Nuancen. Auch das Zusammenspiel mit dem Orchester geschah in schwingender, zuweilen beschwingter Übereinkunft. Hofstetter gestaltete alles filigran und ließ erneut ein Klangereignis von bestechender Transparenz entstehen. Troussov musizierte betörend schön. Den Zweiten ging man saftig an. Die Violine schoss zu höchsten Höhen empor, dann Wiener Schmäh, dann wild, Troussov spielte – ob mit herrlich klarer Süße oder innigstem Ausdruck – stets souverän sicher. Dann ein wenig Gespenstermusik, gefolgt von festem Auftritt und dann wieder lyrischem Feinklang: es ging abwechslungsreich zu; zuweilen mutete es fast an wie ein Hörspiel. Das Orchester war stets präsent, doch nie aufdringlich, dann ein sanftes schönes Finale. Insgesamt war das belebend und toll gemacht. Als Zugabe zeigte sich Troussov, sichtlich erfreut, mit der Adagio Sonate Nr. 1 von Bach für den tosenden, nicht enden wollenden Beifall erkenntlich.
Zum Abschluss gab man Franz Schuberts (1797 bis 1828) 8. Sinfonie C-Dur D 944 in vier Sätzen. Lyrisch, schwingend, strukturbetont die Exposition, mit machtvollen Bläsern und sehr gut aufgebauter Dynamik, gab das einen kraftvollen thematischen Stimmungsüberblick; dabei auch sanft narrative Elemente. Im Zweiten ging man fester und schwungvoller zu Werke, wie zuvor sehr variationsreich, etwa mit ein paar marschierenden Elementen. Zwischendurch starke Dynamik und dann wieder zarteste Momente, Hofstetter malte die Musik förmlich, darunter ganz zarte Pizzicati. Im Dritten ahnte man bereits das Finale: anfangs ein kontrollierter Temperamentsausbruch, dann flirrende Flöten und ein sehr originelles, kontrastreiches großes Melodienwogen. Dabei wurde die Eingängigkeit immer wieder klug aufgehoben, und die Spannung stieg. Der abschließende Vierte führte dann alle dramaturgischen Elemente schlüssig und ungemein mitreißend zusammen. Dabei auch ein sehr elegantes Tempo und ein wundervolles filigranes Intermezzo, dann eine spannende Ruhe bis zur finalen enorm klaren Vielstimmigkeit.
Heiner Schultz, 19.04.2018, Gießener Anzeiger