Der cremige Sound klingt nach Sonnenbad und hält die Sinne geschmeidig. Das HR-Sinfonieorchester spielt das Stadttheater schwindelig. Und Solistin Tianwa Yang an der Geige ist eine Wucht.
Eigentlich braucht es den Dirigenten nur, um den Startknopf zu drücken. Danach spielt der 40-köpfige Streicherapparat wie von selbst in einer anderen Welt. Die Bläser folgen mühelos. Der cremige Sound klingt nach Sonnenbad und hält die Sinne geschmeidig. Dabei gibt das HR-Sinfonie- Orchester nur sein alljährliches Gastspiel im Stadttheater. Die Frankfurter präsentieren am Samstagabend ein iberoamerikanisches Programm von archaischer Kraft. Gut eingestimmt zeigen sich die Musiker ohnehin: Das Konzert unter dem Motto »Die Nacht der Mayas« war bereits am Donnerstag und Freitag im HR-Sendesaal zu hören.
Mit dem Venezolaner Manuel López-Gómez steht einer der impulsiven Dirigenten Südamerikas am Pult. Er leitet den großen Klangkörper konzentriert und bleibt dabei locker in der Hüfte, was den Kostbarkeiten aus dem Hause Tango und Habanera guttut. Feinfühlig gelingen die Schattierungen der Orchesterfarben. Und mit der jungen chinesischen Geigerin Tianwa Yang steht eine Virtuosin auf der Bühne, die ihresgleichen sucht.
Yang zelebriert die »Symphonie Espa- gnole« (1874) von Édouard Lalo ohne Allüren. Hinter dem Titel verbirgt sich ein Violinkonzert des Franzosen in fünf Sätzen. Die Tonsprache kündet von Dramatik, Melodik und ausgeprägter Rhythmik. Die Streicher breiten einen Seidenteppich aus, auf dem Yang brilliert. Die zierliche Solistin lebt Lalos Musik. Yang tanzt mit ihrem Instrument, schwelgerisch und mit technischer Raffinesse reißt sie die Saiten an, um sofort ins feinste Piano zu gleiten und danach wieder mit Akkordblöcken zu feuern, die den Atem rauben. Bravorufe und tosender Beifall sind der Dank des Publikums. Den belgischen Komponisten Eugene Ysaÿe lässt die Solistin in ihrer Zugabe aufblühen.
Zum stimulierenden Programm gehören auch zwei Stücke von Silvestre Revueltas. Für sein »Sensemayá« (1937/38) hat er sich von dem gleichnamigen Gedicht des Afro-Kubaners Nicolás Guillén inspirieren lassen – der Dichter zelebriert darin ein Schlangentötungsritual. Das knapp sechsminütige Werk ist von Klangvisionen geprägt und erinnert doch an Igor Strawinsky, womit Revueltas, der eigenständige und moderne Mexikaner, wieder in der alten Welt landet, aber immerhin in der Neuen Musik.
Nach der Pause erklingt »La noche de los Mayas«, eine Suite in vier Sätzen, die José Yves Limantour 20 Jahre nach dem Tod von Revueltas aus dessen Soundtrack zum Film »Die Nacht der Mayas« (1939) konzipiert hat. Ergebnis ist ein lateinamerikanischer Charme zum Dahinschmelzen. 13 Schlagwerker ergänzen im vierten und letzten Satz das opulente Orchester mit so exotischen Percussionsinstrumenten wie Huehuetl, Sonajas und Tumkul. Und auch ein Muschelhorn macht mit. Langer Applaus vom Publikum, den Dirigent López-Gómez mit dem energischen Danzón No. 2 von Arturo Márquez als Zugabe belohnt.
Manfred Merz, 11.03.2018, Gießener Allgemeine Zeitung