Drei kurze Werke, ein junger charmanter Dirigent und eine ebenso junge und charmante Solistin. Das Sinfoniekonzert im Stadttheater lässt mit dem ernsten Beethoven und einem ironischen Schostakowitsch aufhorchen.
Wegen seines pubertären Beginns hat es das 2. Klavierkonzert F-Dur op. 102 von Dmitri Schostakowitsch in den Konzertsälen nicht leicht, für voll genommen zu werden. Immer wieder behaupten Experten, das Werk, das der Meister seinem Sohn zum 19. Geburtstag geschenkt hat, sei technisch zu leicht. Sie vergessen dabei die artistische Rhythmik der Sätze eins und drei, sie unterschlagen das Feingefühl, das für den Mittelteil vonnöten ist, um dem Andante veritables Leben einzuhauchen, und sie verschweigen die halsbrecherischen Ausflüge in die Chromatik. Wer das alles mit links beherrscht, darf von einem leichten Klavierkonzert sprechen.
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Pianistin Sabine Weyer weiß am Dienstag beim Sinfoniekonzert um die Klippen des Stücks. Konzentrierte Anspannung ist ihr von Anfang an ins Gesicht geschrieben. Die junge Luxemburgerin, die ebenso wie Dirigent Erich Polz am Pult zum ersten Mal im Stadttheater gastiert, interpretiert den Russen mit dem nötigen Ernst, setzt Akzente, achtet auf die Betonungen. Bei den Tempi in den Ecksätzen sind sich Solistin und Orchester nicht immer einig, was zusätzliche Spannung erzeugt. Das lyrische Andante überstrahlt in seiner feinen Erik-Satie-haften Schönheit das komplette Werk.
Dirigent Polz, der Spross einer Winzerfamilie aus der Südsteiermark, beginnt den Abend mit der dritten »Leonoren«-Ouvertüre aus der Feder von Ludwig van Beethoven. Das Stück, das eigentlich dem »Fidelio« voranstehen sollte, zählt zu den epochalen Werken seiner Gattung. Das Philharmonische Orchester Gießen musiziert unter der weichen Stabführung des Österreichers, der zum freien Spielen animiert, stimmig und zum Ende hin mit Feuereifer.
Das ist auch die richtige Einstellung für die 9. Sinfonie Es-Dur op. 70 von Schostakowitsch. Mit knapp 25 Minuten Spieldauer führt sie zu einer der kürzesten zweiten Halbzeiten im Konzertreigen des Großen Hauses. Das ironische Werk dreht Stalin eine Nase. Der hatte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine heroische, ausufernde Hymne erwartet und musste mit einem in der Tradition der Sonatenhauptsatzform gehaltenen kleinen Schmuckstück vorliebnehmen. Dessen Glanz erkannte er nicht, weil es dem Diktator den Marsch auch im Wortsinn bläst. Das Presto erinnert an den dritten Satz aus Tschaikowskys zweiter Sinfonie, das Largo strotzt vor Sensibilität. Bei diesem Schostakowitsch dürfen sich die Bläser über Soli freuen, allen voran Maria Oliveira-Plümacher (Fagott), Anna Deyhle (Klarinette) und Kirsten Mehring an der Piccoloflöte. Auch Konzertmeister Jiri Burian glänzt solistisch. Langer Applaus vom ausverkauften Haus.
Manfred Merz, 11.10.2017, Gießener Allgemeine Zeitung