PREMIERE Lillian Hellmans "Die kleinen Füchse" als finsteres Familiendrama aus der hessischen Provinz im Stadttheater
"Gier ist gut" formulierte der Börsenmakler Gordon Gekko seinen griffigen Merksatz im Filmdrama "Wall Street" - so wurde die Figur zum Prototypen einer skrupellosen, amoralischen, völlig verkommenen New Yorker Geldelite. Doch Gordon Gekkos Weltsicht ist nicht nur in den Hochhaustürmen von Manhattan zuhause. Auch in einer weit weniger mondänen hessischen Provinzstadt - ein vage angedeutetes Gießen - sucht man beim Geschäftemachen nur eins: den eigenen Vorteil. Das ist die Lesart der Inszenierung von "Die kleinen Füchse", wie sie Gastregisseur Stefan Otteni nun im Stadttheater auf die Bühne bringt. Am Samstagabend hatte das knapp zweistündige Stück der US-Amerikanerin Lillian Hellman (1905 - 1984) Premiere.
Es bedarf nur weniger Kniffe, so kündigte Otteni zuvor im Pressegespräch an, um das 1939 uraufgeführte, aber zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den amerikanischen Südstaaten angesiedelte Stück in ein heutiges Deutschland zu verlegen. Und tatsächlich: Die Verlogenheit ist ganz auf hiesiger Seite, wenn die gutbürgerliche Familie Hubbard einen amerikanischen Investor (Milan Pešl) in den heimischen vier Wänden umschmeichelt. Der finanziert ein Bauprojekt vor den Toren der ihm fremden Stadt nur aus einem einzigen Grund: "Ich will Geld verdienen", wie er seinen Gastgebern verkündet. Und genau das wollen die Hubbards auch: die Brüder Ben (Thomas Wild) und Oscar (Pascal Thomas) ebenso wie ihre Schwester Regina (Carolin Weber), die dazu allerdings auf das Wohlwollen ihres in einer Klinik verschwundenen, schwerkranken Ehemanns Herman (Roman Kurtz) angewiesen ist. In Fahrt kommt das Stück nun, weil Regina nun den verhassten Gatten zurückholen und zur Investition überreden muss, will sie ihren Anteil an dem winkenden Profit kassieren. Herman kehrt zwar nun zurück - gibt sich aber überraschend bockig.
Abgesiedelt ist dieses langsam ins Kriminalstück driftende Drama in einer nur vage angedeuteten großbürgerlichen Wohnung, die von einer interessanten, aus Holzbalken bestehenden Halbkugel umwölbt wird. Ayse Özel (Bühne und Kostüme) hat damit ein leicht surreales Szenario entworfen, dass sich schließlich gefährlich weit nach unten senkt. Das Gebilde droht die in alle Richtungen intrigierende Familie immer mehr wie ein goldener Käfig zu umschließen.
Seinen Reiz entwickelt dieses Drama nun aber nicht wegen seiner latent mitschwingenden, aber auch reichlich oberflächlich bleibenden Kapitalismuskritik. Vielmehr gibt es hier die Innenansicht einer Großfamilie zu bestaunen, in der jeder mit jedem über Kreuz liegt. Und in der jeder jeden hemmungslos aufs Kreuz legt.
Zu den in ihre Privatfehde verstrickten Hubbards gehören auch die Kinder Leo, ein kleiner, aalglatter Karrierist (Stephan Hirschpointner) und die so aufrechte wie naive Alexandra (Lotta Hackbeil). Hinzu kommt die Außenseiterin Birdy, Ehefrau des getriebenen Oscar. Diese Frau ist eine kunstsinnige Außenseiterin, der Darstellerin Ewa Rataj treffend ambivalente Züge verleiht. Denn Birdy ist angewidert von der Jagd nach dem Geld, aber auch zu schwach, um sich den Spielregeln der Familie zu entziehen. Und so bleibt ihr nur das Klavierspiel (Richard Wagner) und der Griff zum Alkohol - wie er in so vielen US-Bühnendramen als Flucht der Verzweifelten dient. Als standfestes moralisches Korrektiv bleibt hier allein das arabische Hausmädchen Safa (Susana Abdulmajid), das noch an das Gute in all diesen zumindest ambivalenten Menschen glaubt.
Die interessanteste Figur des Stücks ist aber die im Zentrum des Geschehens stehende Regina. Carolin Weber zeigt sie als moderne Frau, die ihren Brüdern mehr als ebenbürtig ist, aber gleichsam ihren moralischen Kompass längst verloren hat: "Hartz IV oder Karibik: Alles dazwischen - was soll denn das?!", ächzt sie irgendwann. Ihr Antrieb ist es, dem gefühlten Mittelmaß ihrer Umgebung zu entkommen - am besten nach New York. Und so geht sie ihrerseits bis ans Äußerste, um die eigenen Ziele zu erreichen, ohne dabei aber zum Zerrbild eines weiblichen Monsters zu mutieren.
So lebt das Stück vor allem von seinem durchweg überzeugenden Ensemble sowie von manchen surrealen Regieeinfällen, von denen man sich noch einige mehr gewünscht hätte. Wenn sich etwa die von der Gier gepackten Hubbard-Männer im Bühnenhalbdunkel um die noch nicht verteilten Bären- oder Fuchsfelle reißen - dann werden sie zu Bluthunden, die den Zuschauer grausen lassen.
Starker, langanhaltender Applaus für das gesamte Ensemble.
Björn Gauges, 26.02.2018, Gießener Anzeiger