Geld verdirbt den Charakter. Und es zerstört Familien. Das demonstriert im Stadttheater Lillian Hellmans Stück »Die kleinen Füchse«. Wer genau hinhört, findet jede Menge Lokalbezüge.
In Garbenteich soll auf der grünen Wiese ein Outlet-Center gebaut werden, das als Angriff auf Gießens Innenstadthandel verstanden wird. Der Alten Post droht wegen Spekulanten seit vielen Jahren der Zerfall. Geld regiert die Welt – und die Politik lässt es sich gefallen. All das kommt einem in den Sinn, wenn man Lillian Hellmans Schauspiel »Die kleinen Füchse« im Stadttheater sieht.
Regisseur Stefan Otteni holt die Geschichte aus dem amerikanischen Süden um 1900 mehr oder weniger deutlich ins hessische Hier und Jetzt. Und schießt mit der arabischen Eröffnungsansprache von Dienstmädchen Safa – heutige Neureiche haben keine Sklaven mehr, aber Migranten als Diener – auch gleich übers Ziel hinaus. Laute Richard-Wagner-Musik dröhnt aus dem Off, Safa plappert aufgeregt Unverständliches und irgendwie reden sowieso alle durcheinander. Der Einstieg in das Stück ist so unnötig sperrig, wird aber in den folgenden pausenlosen 100 Minuten viel geschmeidiger.
Und immer wieder Wagner
Ayse Özel hat für Ottenis ansonsten stimmig-aktualisierte Inszenierung ein surreal-reduziertes Bühnenbild und Kostüme geschaffen, die mit Anspielungen auf das prestigeträchtige Jagdhobby der Industriellenfamilie die Unkultiviertheit dieses geldgierigen und neureichen Haufens von Raubtierkapitalisten gnadenlos vorführen. Und tatsächlich: Wie Raubtiere stürzen sich die »kleinen Füchse« in ihren protzigen Pelzmänteln auf das »Fell des Bären«. Sie verlieren jegliche Hemmung in ihrer grenzenlosen Gier.
Über einer ins Nichts führenden Treppe thront eine riesige, »globalisierte« Halbkugel. Es ist der goldene Käfig, in dem die Figuren, speziell die Frauen, gefangen sind. Vor allem Regina Giddens ist eine solche Gefangene. Aber sie ist nicht nur Opfer, sondern vor allem auch Täterin. Dass sie ihren raffgierigen Brüdern Paroli bietet, als die im Ringen um einen Investor intrigieren, stehlen und lügen, kann man tatsächlich gut finden. Schließlich nutzt sie mit ihrem Anteilspoker ihre Chance auf ein Stück Unabhängigkeit, die ihr bislang verwehrt wurde. Doch sobald ihre Gier kein Halten mehr kennt, sie ihren herzkranken Mann auf der Treppe sterben lässt und ihr Macchiavelismus keine Hemmung mehr kennt – widert sie an. Carolin Weber spielt diese berechnende Regina und begibt sich damit in die großen Fußstapfen einer Bette Davis oder einer Nina Hoss, die in dieser Rolle in Film und Theater brilliert haben. Weber nimmt dieses Rollengeschenk dankbar an. Ihre Regina ist nicht nur die eiskalte Hexe und geldgierige Furie, sondern auch eine zutiefst gekränkte Frau – vom Mann betrogen, von den Brüdern übervorteilt, von der Tochter am Ende verachtet. Niemals überzeichnet, immer auf dem Punkt ist Webers nuancenreiche Darstellung des Bösen.
Raubtierkapitalismus
Ewa Rataj hat es da schon bedeutend einfacher, sich als Schwägerin Birdie die Sympathie der Zuschauer zu erspielen. Das adlige Schmuckstück der Familie ertränkt seinen Kummer im Alkohol. Doch diese Birdie ist eben auch feige und schwach, während ihre Nichte Alexandra (Lotta Hackbeil spielt sie zunächst herrlich naiv) zu ungeahnter Stärke findet. Sie will nicht länger »den Menschen, die die Erde verschlingen« und dummerweise ausgerechnet ihre engsten Verwandten sind, tatenlos zusehen. Großen Anteil an dieser Entwicklung hat das lebenskluge Dienstmädchen Safa, gespielt von der irakischstämmigen Susana Abdulmajid als Gast, die – sei es wegen der Bibel oder dem Koran – genau weiß, was moralisch richtig ist. Roman Kurtz wirkt überzeugend als herzkranker Bankiersgatte, der das böse Spiel seiner buckligen Verwandtschaft durchschaut. Thomas Wild als durchtriebener Ben Hubbard und Pascal Thomas als sein fieser Bruder Oscar sind gnadenlose Wölfe im Fuchspelz und auch Stephan Hirschpointner nimmt man den unmoralischen Spross einer verrotteten Familie jederzeit ab. Milan Pešl hat als umgarnter Investor William Marshall einen kurzen Auftritt.
Karola Schepp, 25.02.2018, Gießener Allgemeine Zeitung