Schauspielerinnen Ewa Rataj und Kyra Lippler verhelfen "Triptychon des Ankommens" beim Spielzeitauftakt zum Erfolg
"Verschlimmbessern, so ein wunderbares Wort. Das sollte es in anderen Sprachen auch geben", sagt Marusja (Ewa Rataj). Die Besonderheit der deutschen Sprache, einfache Dinge mit hochkomplizierten Bandwurmworten zu benennen, hat es der jungen Immigrantin besonders angetan. Während ihrer erfolgreich verlaufenen Integration in Deutschland hat sie besonders solche Worte gelernt und eingeübt.
Im Atrium des Gießener Rathauses erlebten 100 Besucher zunächst das Kurzdrama "Die Barbaren - Monolog für eine Ausländerin" der Georgierin Nino Haratischwili. Zur Spielzeiteröffnung waren am Donnerstagabend drei Kurzdramen unter dem Titel "Triptychon des Ankommens" an drei verschiedenen Orten zu sehen. In den drei Stücken werden unterschiedliche Phänomene, die im Deutschen unter dem Wort "ankommen" zusammengefasst werden können, in eindringlicher Form dargestellt und interpretiert. Regie führte Kirsten Uttendorf.
Putzen für Flüchtlinge
Die neue Lebenswelt Marusjas erweist sich dabei als brüchig. Mit einem Putzjob hält sie sich mühsam über Wasser, ihre Sprachfähigkeiten sind nicht gefragt. Sie putzt in einem Flüchtlingswohnheim und sinniert über ihre geplatzten Träume, über die Angekommenen, deren Unterkunft sie sauber hält, und über die Fragwürdigkeit eines Begriffes wie "Heimat".
Ein kleines Mädchen (Inga Ströde) stört zu Beginn die Putzroutine und löst den Monolog Marusjas aus. Eindringlich lässt Ewa Rataj die Verzweiflung der Frau durch eine Fassade ruppiger Gleichgültigkeit scheinen. Die Schauspielerin, die seit Beginn dieser Spielzeit neu im Gießener Ensemble ist, hatte das Publikum von Anfang an fest im Griff. Glaubhaft ließ sie die Zuschauer die Nöte ihrer Figur nachvollziehen und mitempfinden.
Bedrohlich
Mit dem Ortswechsel auf die Bühne des taT-Studios trat nach einer Dreiviertelstunde ein völlig anderes Ankommen in den Fokus. In dem Stück "Ich liebe dich schon jetzt" der finnisch-estnischen Autorin Sofi Oksanen werden die wirtschaftlichen und moralischen Probleme der Eizellenspenderin Daria (Ewa Rataj) den Ängsten und Sorgen der Engländerin Mary (Kyra Lippler) gegenübergestellt. Daria muss sich einer umfangreichen Befragung durch die Eispendeagentur unterwerfen. Die Stimme der Koordinatorin (Rebecka Dürr) kommt aus dem Off und gibt dem Test etwas Bedrohlich-Kafkaeskes. Die Darstellerinnen nahmen das Publikum mit in eine komplexe Welt, die von Ängsten, Wünschen und wirtschaftlicher Not bestimmt wird.
Nach einem weiteren Umzug in einen Saal der Technischen Hochschule Mittelhessen wurde der Monolog "Mari" von der in Berlin lebenden Schriftstellerin Terézia Mora inszeniert. Zu sehen war Kyra Lippler in der Rolle einer ehemaligen Weltenbummlerin. Die Zeit der Reisen ist für Mari vorbei. Sie lebt abgeschieden und kontaktscheu in einer kleinen Wohnung, die sie nur für unbedingt notwendige Besorgungen verlässt.
All drei Dramen waren nahezu minimalistisch inszeniert und von Thomas Döll ausgestattet. Auf Requisiten und Kulissen hatten die Theatermacher bei diesem Triptychon weitestgehend verzichtet. Die drei Kurzdramen wirken allein durch die Ausdruckskraft der Stimmen der Darstellerinnen.
Klaus-J. Frahm, 01.09.2017, Gießener Anzeiger