Auftritt des HR-Sinfonieorchesters im Gießener Stadttheater erweckt Schwerpunkt Südamerika zum Leben / Violistin Tianwa Yang sticht aus gutem Ensemble hervor
Als ein musikalisches Feuerwerk erwies sich „Die Nacht der Mayas“, das Konzert des hr-Sinfonieorchesters im Theater am Samstag. Unter dem exzellenten Dirigat des hoch renommierten Manuel López-Gómez erklangen Werke von Silvestre Revueltas und Édouard Lalo.
Violine sorgt für Höhepunkt
Der strahlende Höhepunkt war der brillante Auftritt der Violinistin Tianwa Yang, die das volle Haus zu Begeisterungsstürmen hinriss. Schon der Beginn mit “Sensemaya” von Silvestre Revueltas (einem der bedeutendsten Komponisten Mittelamerikas, 1899 bis 1940) ließ etwas Besonderes vermuten, stand doch das Konzert im Schwerpunkt südamerikanischer Klänge. So hob ein unheimliches Drohen an, etwas schräge Harmonien, ein Gong raunte zu synkopischen Elementen, und schauerliches Wogen dominierte die Stimmung, hexenmalerische Trompeten setzten überraschende Akzente. Man wähnte sich im Dschungel! Alsdann Édouard Lalos „Symphonie espagnole“ d-Moll op. 21 für Violine und Orchester in fünf Sätzen erklang. Schon mit den ersten Tönen machte Tianwa Yang klar, dass sie in einer anderen als der üblichen Klasse musiziert. Unerhört temperament- und blutvoll gespielt war das, mitreißend von der ersten Sekunde, mit nachgerade himmlischem Schmelz. Das Orchester agierte traditionell, etwas schicksalhaft, intensiv und mit Schwung, dabei umwehte es nur zart die Violine, man agierte zuweilen mit sanfter Spannung ganz nahe an der Stille. Das elektrisierte Publikum scherte sich nicht um die Konventionen und applaudierte Yang direkt nach dem ersten und jedem weiteren Satz. Der Zweite (Scherzando) erklang im Ganzen überaus leicht, heiter und schwungvoll, die Violine agierte elegant, und das Orchester hüpfte neben ihr einher; ein Glanzlicht. Yang erwies sich als Solistin von absoluter handwerklicher Perfektion, der jede Nuance von Bogendruck, Ansatz und Intonation zur Verfügung steht, um das Wesentliche zu schaffen, die Musik. Sie war, klein und schlank, stets in Bewegung. Dies war jedoch immer der Musik geschuldet, die förmlich durch sie hindurchströmte, sie mitnahm und zuweilen fast vom Boden hochriss. Einmal, in einem Moment besonders großer Verbundenheit mit Orchester und Dirigent, zog kurz ein Lächeln über ihr Gesicht. Dann wurde schon nachdrücklicher musiziert, die Geige, mal hauchzart, mal kraftvoll, tanzte los, und das Orchester mit ihr mit; überwiegend heiter. Toll auch wieder der vierte Satz, musiziert von groß zu noch größer und feierlicher. Die Violine zeigte hier csardashaftes Feuer. Der Fünfte brachte einen leichten, erzählerischen Duktus und eine womöglich noch intensivere Violine in tänzerischer Interaktion mit dem Ensemble. Vorzüglich geleitet, ergänzte es die Solistin fast diskret. Mit vorzüglicher Präzision kehrte man zum Thema zurück und setzte einen großartigen Abschluss. Minutenlanger donnernder Beifall für Yang, die eine faszinierende, leidenschaftliche Zugabe spielte (Eugene Ysaÿe: Les Furies). Noch mehr Beifall. Revueltas‘ Suite für Orchester „La noche de los Mayas“ (die José Yves Limantour 20 Jahre nach dem Tod des Komponisten aus dessen Musik zum Film „Die Nacht der Mayas“ von 1939 zusammenstellte) begann mit einem großen filmmusikartigen Auftakt, gefolgt von fühlbarem Spannungsaufbau und wieder paradiesischer Ruhe im Fluss, fast versunken musiziert. Dann erlebte man eine durchaus neutönerische Verwirrung: Elefanten trompeteten, der Dschungel erhob sich; der Dirigent gestaltete alles souverän in optimaler Transparenz. Rätselhafte Akzente wechselten mit spanischen Anklängen und Mariachi-Anmutungen, alles äußerst vielschichtig und neben dem Üblichen. Dem abrupten Schluss folgten donnernder Applaus und eine mitreißende Zugabe mit Anton Marques‘ „Danzo Nr. 2“ – noch eine Explosion; insgesamt eine enorme Sinnenfreude.
Heiner Schultz, 12.03.2018, Gießener Anzeiger