Pianist William Youn glänzt als Solist bei Mozart und als feinfühliger Interpret romantischer Zugaben
Mit seinem beseelten, hingebungsvollen Spiel hat der koreanische Pianist William Youn das erste Sinfoniekonzert der Saison zeitweise in einen intimen, romantischen Klavierabend verwandelt und die Herzen der Zuhörer aufgehen lassen. Äußerlich eher bescheiden, zurückhaltend und still nutzte er im vollbesetzten Stadttheater am Dienstagabend seine Zugabe nach dem viel beklatschten Mozartkonzert zu einem Ausflug in die Romantik und begab sich mit Liszt-Bearbeitungen des Ständchens von Franz Schubert („Leise flehen meine Lieder“) und der „Widmung“ von Robert Schumann auf schwärmerische Pfade. Youn schöpfte den Facetten- und Klangreichtum der von Leidenschaft durchpulsten Stücke mit interpretatorischer Meisterschaft aus – und hatte das Publikum vom ersten Ton an fest im Griff. Ein wunderschöner Abstecher!
Ohne Übergang
Doch der Reihe nach: Unter der Leitung von Generalmusikdirektor Michael Hofstetter präsentierte sich nicht nur Youn, sondern auch das Philharmonische Orchester Gießen an diesem Abend in bester Form. Man spürte allenthalben den frischen Elan nach der Sommerpause. In Werken von Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven und dem international renommierten, in Gießen lehrenden Komponisten Heiner Goebbels galt es, 200 Jahre zu überbrücken. Doch dies geschah erstaunlicherweise nahezu bruchlos, denn Hofstetter hatte zwei kurze Stücke von Goebbels so geschickt ins Programm integriert, dass sie wie moderne Vorspiele zu Mozart und Beethoven erschienen und ohne Übergang zu diesen gewichtigen Werken führten.
In seinem Zyklus „Surrogate Cities“, zu dem er sich Goebbels von Paul Austers Roman „Im Land der letzten Dinge“ inspirieren ließ, unternimmt der Komponist den Versuch, Geschichten über Städte zu erzählen. Flirrende Streicher und harte Akkorde wie in Filmen von Hitchcock, schroffe und dann wieder zarte Klänge, ausdrucksvolle, langgezogene Töne einer Frauenstimme vom Band (Marie Seidler) – all dies erzeugte eine rast- und ruhelose Betriebsamkeit. Dazu sprach der Schauspieler Roman Kurtz Sätze aus Austers Roman wie „Gestern ging man über eine Straße, die heute nicht mehr existiert“ oder „Die Stadt macht einen lebenshungrig und zugleich versucht sie einen umzubringen.“
Damit war zunächst das Feld für Mozart bereitet. Sein letztes Klavierkonzert B-Dur KV 595 ist eine Komposition der vollen Reife, formvollendet und von lyrischer Innigkeit durchtränkt. Aber sein Charakter ist eher introvertiert und anstelle eines offenherzigen Spiels treten formale und harmonische Entwicklungen deutlicher in den Vordergrund. So ist das Klavier nie überpräsent, sondern stets in das klangliche Gesamtgefüge eingebettet. Gewiss ist das B-Dur-Konzert ein virtuoses Werk, aber kein Schaustück. Gefragt sind die leisen Töne. Das wussten auch Hofstetter und Youn, die das Publikum an einem glücklich zu nennenden Wechselspiel zwischen Solist und Orchester teilhaben ließen.
Vom Allegro des ersten Satzes mit seinem weichen, gesanglichen Thema über das träumerisch-verklärte Larghetto des zweiten Satzes bis zum glänzenden Finale bot Youn mit großer Gelassenheit und feiner Anschlagskultur eine empfindsame, intime Interpretation, die auf Überraschungen und Ausflüge ins Extreme gut verzichten konnte. Der Solist demonstrierte, dass er keine virtuosen Mätzchen braucht, sondern stellte sich ganz in den Dienst des Werks. Und Hof-stetter schien mit weit ausholenden Bewegungen die Klänge geradezu zu modulieren und führte alles auf natürlich erscheinende Weise zusammen.
Voller Wehmut
Mit einer spannungsgeladenen, dynamisch und rhythmisch ausgefeilten Wiedergabe von Beethovens Sinfonie Nr. 4 B-Dur op. 60 ließen Hofstetter und seine Musiker den Abend ausklingen. Nach der langsamen, geisterhaften Einleitung im Adagio des ersten Satzes brachen sich die aufgestauten Energien ihre Bahn. Der Beethoventon war vom ersten Takt an getroffen. Da war der klopfende Rhythmus, den der Komponist so gern verwendete, und da war das schwärmerische Adagio des zweiten Satzes voller Wehmut in seiner ganzen Schönheit. Fulminant auch das temporeiche Finale. Das Publikum dankte lange mit kräftigem Applaus.
Thomas Schmitz-Albohn, 31.08.2017, Gießener Anzeiger