Wie ein Sturm fegt Eugène Labiches Komödie »Die Affäre Rue de Lourcine« über die Stadttheaterbühne. Inhaltlich ist das Stück ein eher laues Lüftchen, vom Bühnenspaß her aber ein veritabler Orkan
Kaum hat Pascal Thomas als Diener Justin die Bühne betreten, da lachen die ersten Zuschauer. Dank Buckel und schütteren Haarsträhnen ist der ansonsten smarte Lockenkopf aus dem Schauspielensemble des Stadttheaters kaum wiederzuerkennen. Dass er seinem Dienstherren schon mal in die Karaffe spuckt oder sich ungeniert von dessen Tabak bedient, gehört zu den zahlreichen komischen Episoden dieses Komödienabends. Und dass Pascal Thomas als Nebendarsteller am Ende der Premiere von Eugen Labiches Enthüllungskomödie »Die Affäre Rue de Lourcine« im voll besetzten Großen Haus den stärksten Applaus des Publikums bekommt, ist nur gerecht.
Regisseur Thomas Goritzki hat »Die Affäre Rue de Lourcines« von Lustspieldichter Eugène Labiche als das inszeniert, was sie im Kern ist: eine handwerklich gut gemachte, irrwitzige Enthüllungskomödie mit abstruser Handlung, die jede Menge Spaß macht. Auch wenn ausgerechnet die für schwere Stoffe bekannte Dramatikerin Elfriede Jelinek das Stück ins Deutsche übersetzt hat: psychologischen Tiefgang oder ernst zu nehmende Gesellschaftskritik findet man hier nur nach gezieltem Suchen. Dass Labiche der Scheinheiligkeit der Spießbürger in den Pariser Salons des 19. Jahrhunderts den Spiegel vorhält, ist zwar richtig. Doch das fällt eigentlich eher nur aus der heutigen Sicht ins Gewicht. Für die Zeitgenossen Labiches wird im Stück wohl eher der Spaßfaktor überwogen haben. Und auch für das amüsierfreudige Publikum von heute darf der Fokus ruhig darauf liegen.
Der Unterhaltungsfaktor ist bei Regisseur Thomas Goritzki und Bühnen- und Kostümbildnerin Katja Wetzel in besten Händen. Die Pointen und Auftritte sitzen punktgenau, die Kostüme sind echte Hingucker. Die typischen Boulevardkomödienelemente wie Türenknallen, Scheppern im Hintergrund und immer wieder Schreckensschreie werden exzessiv zelebriert. Wer genau hinhört und hinschaut, kann Anspielungen auf Filme entdecken, wenn etwa am Ende das berühmte »Nein; doch; nein; doch; oh« von Luis de Funes erklingt. Und dass Hauskomponist Martin Spahr das Ganze auch noch mit eigenen Couplets voller musikalischer Anspielungen garniert, hat durchaus Charme – auch wenn ein bisschen weniger Schauspielergesang der Inszenierung gewiss nicht geschadet hätte.
Irrwitzige Klamotte
Manchmal übertreibt die Regie aber auch in anderer Hinsicht und schrammt haarscharf an einer heftigen Klamotte vorbei. So erschließt sich beispielsweise nicht wirklich, warum das im Himmelbett aufspielende Streichertrio mal im Friesennerz, dann wieder in Frack oder Biedermeierkleidern auftritt. Und eine Pause, noch dazu quasi mitten im Lied, hätte dieser kurzweilige Neunzigminüter ganz gewiss nicht gebraucht. Glänzend allerdings ist der Einfall, Souffleuse Maria-Christina König immer wieder ins Spiel einzubeziehen.
Schon die Geschichte, die Komödienvielschreiber Labiche erzählt, ist mit der Brechstange konstruiert. In »Die Affäre Rue le Lourcine« wachen der Schwerenöter und Pariser Großbürger Lenglumé und sein Kumpan Mistingue nach durchzechter Nacht mit einem Filmriss auf. Beim Blick in die Zeitung kommt ihnen der Verdacht, dass sie im volltrunkenen Zustand ein Kohlenmädchen ermordet haben könnten und setzen in der Folge alles daran, dass ihnen niemand auf die Schliche kommt. Bis die beiden herausfinden, dass sie doch keine Mörder sind und die Zeitungsmeldung schon uralt ist, dauert es eine ganze, höchst amüsante Weile. Ihr ständiges Lügen wird zum Vergnügen für die Zuschauer. Kaum scheint ein angeblicher Zeuge ausgeschaltet oder ein Beweisstück vernichtet, taucht das nächste Problem auf. Wie Tom Wild als Lenglumé und Roman Kurtz als Mistingue alles tun, um Indizien verschwinden zu lassen und ihre Hände wortwörtlich in Unschuld waschen, ist ein großer Spaß, an dem die durch die Bank mit viel Spielfreude auftrumpfenden Schauspieler größten Anteil haben.
Während Roman Kurtz, mit einer scheußlichen Puigdemont-Gedächtnisfrisur verunstaltet, den Klamauk nicht allzu sehr überstrapaziert, dreht Tom Wild komplett auf. Sein Lenglumé ist ein echter Trottel im Vollgasmodus, ohne moralisches Gewissen und nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Wie ein Irrwisch rennt er über die Bühne, stolpert von einer brenzligen Situation in die nächste und weidet die Komik seiner Figur aus. Als seine Gattin Norine hat Carolin Weber ganz schön ihre Last mit diesem kindlichen Gemüt im Körper eines Mannes, das sich auch durch ihren Auftritt im Stil einer antiken Rachegöttin nicht bändigen lässt. Milan Pesl weiß hingegen als schrulliger Vetter Potard, wo er den Hebel bei seinen Verwandten ansetzen muss, um Geld geliehen zu bekommen.
Und so fügt sich am Ende doch alles zur allgemeinen Zufriedenheit und das Publikum kann bestens gelaunt mit einem Schmunzeln das Theater verlassen. Gelegenheit dazu gibt es noch jede Menge: »Die Affäre Rue de Lourcine« ist im Stadttheater deutlich häufiger als sonst üblich zu sehen.
Karola Schepp, 13.11.2017, Gießener Allgemeine Zeitung