Als Zugabe des die Saison abschließenden Sinfoniekonzerts wiederholte Generalmusikdirektor Michael Hofstetter unerwartet – und zur nicht geringen Überraschung des Orchesters – das wichtigste Stück des Abends. Das war eine schlüssige Entscheidung: Charles Ives’ Komposition „The Unanswered Question“, eines der Schlüsselwerke für die US-amerikanische Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts, bildete so Auftakt und Schluss des „amerikanischen“ Programms des Philharmonischen Orchesters am Dienstagabend im Stadttheater. Nun soll man ja nicht zu viel in eine Programmgestaltung hineingeheimnissen. Mit Ives, George Gershwins „An American in Paris“ und Antonín Dvoráks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ waren da zunächst einmal äußerst bekannte und beliebte Stücke versammelt, die großes, unbeschwertes Hörvergnügen versprachen. Und diese Erwartung haben die Musiker gut gelaunt und zugleich mit großer Konzentration umgesetzt. Bei aller Bekanntheit ist Ives’ Stück aber doch auch etwas enigmatisch. Die wie aus einer anderen Welt (hier vom Balkon aus) in die auskomponierte Stille der Streicher (noch besser wären sie allerdings hinter der Bühne platziert gewesen, wie vom Komponisten vorgesehen) hineinklingende Existenzfrage der Trompete (lakonisch: Johannes Osswald), findet im zunehmenden Durcheinander und anschließenden ratlosen Verstummen der Holzbläser (gekonnt unabhängig vom restlichen Geschehen) ja keine rechte Antwort. Hofstetter schloss sich, in einer kurzen Erläuterung, der Auffassung von Leonard Bernstein an: Vielleicht sei die Frage etwas unklar, die Antwort aber laute
unbedingt „ja“. Und wenn es eine Musik gibt, die „ja“ sagt, dann ist es natürlich die von Gershwin und Dvorák. Das Orchester ließ sich von seinem Dirigenten mitnehmen, folgte seinem Schlendern (man sah ihn geradezu durch Paris flanieren), nahm an den richtigen Stellen Puls und Fahrt auf, die Tempi waren hier federnd, dort nach vorne drängend. Vielfach leichtfüßig und elastisch geriet auch die Sinfonie „Aus der Neuen Welt“. Hier kommt die Opernerfahrung des Orchesters zum Tragen, so meint man zu hören, denn über Strecken ist das Stück ja von schlechthin theatraler Kraft. Billige Effekte hat Hofstetter aber vermieden. Aufs Feinste gesponnen waren die leisen Klänge des langsamen Satzes, da bestand keine Sentimentalitäts-Gefahr, das Burschikose des motorischen Scherzos schlug nie ins Grobe um und auch der ganz große Klang der Schluss-Apotheose hielt sich von Pathos fern.
Prof. Karsten Mackensen, 21.06.2018, Gießener Anzeiger