Eine Frau am Pult – das hat es bei den Sinfoniekonzerten im Stadttheater seit über 20 Jahren nicht mehr gegeben. Die Französin Marie Jacquot bricht den Bann. Ihr Können begeistert das Publikum. Ihr Charme auch.
So sind sie, die jungen Französinnen: Selbstbewusst stechen sie frohgemut mitten hinein in eine Männerdomäne und geben auch noch das Tempo vor. Zur Jagd bläst Dirigentin Marie Jacquot, Jahrgang 1990, am Dienstagabend beim Sinfoniekonzert im Stadttheater. Das Philharmonische Orchester Gießen folgt auf dem Fuße. Und auch das Publikum im ausverkauften Großen Haus spendet mit seinem nicht enden wollenden Applaus Anerkennung für einen Abend voller klassischer und frühromantischer Musik rund um horngeprägte Jagdmotive.
Eine Frau am Pult des Stadttheaters gab es zuletzt vor mehr als zwanzig Jahren, in der Spielzeit 1994/95. Und so wird die gebürtige Pariserin Jacquot mit Spannung erwartet. Leicht, beschwingt und dennoch punktgenau – erfrischend anders wirkt ihr Dirigat.
Dirigentin entfacht Feuer
Die stellvertretende Generalmusikdirektorin am Mainfranken-Theater in Würzburg macht bei der Arbeit vieles anders als ihre männlichen Kollegen. Da ist zunächst ihr Lächeln, das den Herren der Schöpfung mit dem Griff zum Taktstock meist abhandenkommt. Dann ist da das Feuer, das die Dirigentin entfacht, wenn sie die Einsätze mit der Hand von unten nach oben heraufzieht und tänzelnd ins Orchester wirft, damit ihre Vorgaben beherzt in virtuose Klänge verwandelt werden.
Und da ist die Vorliebe, ohne Taktstock zu dirigieren, wenn es leicht sein soll und lebendig. Bei der abschließenden Mozart-Sinfonie Nr. 25 g-Moll KV 183 zum Beispiel. Das erste Thema des ersten Satzes kennt jeder Film-Fan. Milos Forman hat es 1984 für seinen »Amadeus«-Hit benutzt. Jacquot legt mit weiträumigen Handbewegungen ein flottes Tempo an den Tag und hält versiert die Spannungsbögen.
Beethoven als Zugabe
Als Zugabe lässt sie Beethovens selten gehörte Ouvertüre zum Ballett »Die Geschöpfe des Prometheus« spielen – und nimmt dafür den Taktstock. Weil sie weiß, dass der Großmeister einer dezidierten Führung bedarf, während der Sound des jugendlichen Genies mit leichter Hand am besten seine Wirkung entfaltet – Mozart war gerade mal 17, als er seine sogenannte kleine g-Moll-Sinfonie schrieb (die große g-Moll-Sinfonie trägt die Nummer 40 und ist die bekanntere von beiden).
Den Auftakt des Konzerts bildet die Ouvertüre zu der Oper »La chasse du jeune Henri« (Die Jagd des jungen Henri) von Étienne-Nicolas Méhul. Er gilt als führender Komponist zur Zeit der Französischen Revolution und Erneuerer der französischen Operntradition. Rund 40 Musiktheaterstücke gehen auf sein Konto, von denen heute keins mehr gespielt wird.
Moderne Diana der Orchesterjagd
Die vier Naturhörner tun sich in dieser Ouvertüre etwas schwer, legen ihre Unsicherheit aber bei der Grande Fanfare D-Dur von Gioachino Rossini ab. Martin Gericks, Alvaro Artuñedo Garcia, Victor Lozano Mariano und Berthold Cremer zeigen, an der Rampe stehend, in diesem Solo mit Orchesterbegleitung eine imponierende Leistung.
Mit Joseph Haydns Sinfonie Nr. 73 endet der erste Teil des Abends. Das Werk trägt den Beinamen »La chasse« wegen seines stürmisches Finales, das thematisch der Jagdgöttin Diana zugeordnet werden kann und mit seinen Bläserpassagen den alten Jagdruf aufgreift, wenn der Hirsch gesichtet ist. Nach der Pause ein beschaulicher Luigi Cherubini mit der Ouvertüre zu seiner Oper »Medea«, ehe Mozart und Beethoven dem Konzert die Krone aufsetzen. Marie Jacquot bleibt als moderne Diana der Orchesterjagd in bester Erinnerung.
Manfred Merz, 17.01.2018, Gießener Allgemeine Zeitung